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Warum wir Altersdiversität brauchen


Vor einigen Wochen saß ich mit dem deutschen Chef einer internationalen Agentur zusammen, er ist Ende 40. Unser Gespräch über den Branchennachwuchs driftete ab. Wir kamen auf die Frage zu sprechen: Was macht der Agenturchef, wenn er gehen muss, weil er das zunehmende Tempo, das unsere Branche offenbar fordert, nicht mehr halten kann oder will? Gibt es eine klassische Exit-Strategie? Die Frage blieb zunächst unbeantwortet, beschäftigt aber viele.

Ich habe keine aktuellen Zahlen zur Altersverteilung in der Kommunikations- oder der Agenturbranche in Deutschland zur Hand, ich bin aber in Großbritannien fündig geworden. Der PR-Verband hat da ermittelt: Der Altersdurchschnitt der ganzen (!) Branche liegt bei 29 Jahren. Zwar steigen Briten noch immer etwas früher in den Job ein als die Deutschen, das Bild dürfte aber tendenziell auf uns übertragbar sein.

Damit stellt sich die Frage: Wo bleibt der Rest?

Alarmiert von diesen Zahlen rief der britische Agenturmann Darryl Sparey im Frühjahr unter dem Hashtag #PR60over60 dazu auf, aktive PR-Menschen über 60 Jahre zu nominieren, um sie als Role Models zu präsentieren. Er bekam viel Beifall für die Idee, vor allem aber unter der Hand. Diese Liste gibt es bis heute nicht. Sparey gibt dafür zwei Gründe: Zum einen fürchteten die, die andere vorschlagen sollten, ihr Nominee könnte jünger sein als angenommen und die Nominierung als Affront werten. Zum anderen wollten die Nominierten für das Thema nicht in der ersten Reihe stehen, weil sie Angst vor einem Stigma hatten. Offenbar ist durch diese Branchenbrille das Alter nicht mit Erfahrung und Souveränität konnotiert – sondern mit Schwäche.

Warum ist das bei Ärzten oder Anwälten anders? Oder auch Journalisten, um mal näher an unserem Berufsbild zu argumentieren? Wie oft haben Sie in der Agentur den 60. Geburtstag eines Kollegen oder einer Kollegin gefeiert, der nicht von Chef/Chefin/Gründer/Gründerin war? Ich freue mich auf ehrliche Antworten.

Ohne dass es meine Absicht wäre: Ich bin mir bewusst, dass ich mit meiner eigenen Nachwuchsarbeit tendenziell einem Jugendwahn Vorschub leiste. Zumindest wird mir das gelegentlich vorgetragen. Ich hatte dazu vor zwei Jahren bereits Stellung bezogen, und seitdem hat sich die Situation nach meiner Wahrnehmung leider noch verschärft. Vor allem die Agenturbranche muss den Generationenaustausch ernster nehmen und neue Rollen für erfahrene Kollegen finden.

Wir bemühen uns, das zu fördern, und die Erfahrungen waren bisher ganz ähnlich denen, wie sie Darryl Sparey mit #PR60over60 gemacht hat. Vor zwei Jahren scheiterte eine Reverse-Mentoring-Idee, die ich unter dem Dach von #30u30 einst umsetzen wollte. Junge Menschen sollten zu Mentoren von älteren Menschen werden. Ich scheiterte daran, dass Unternehmen solche Konzepte lieber auf ein internes Publikum beschränken wollen, weil sie offenbar noch immer Angst vor dem unkontrollierten Abfluss von Wissen haben. Ich scheiterte aber auch, weil sich kaum jemand fand, der seine Rolle als Mentee eines jüngeren Mentors in diesem Programm dokumentiert sehen wollte. Zu sehr fürchtete man Gesichtsverlust.

Ursprünglich kam der Antrieb für das Reverse Mentoring damals von der jungen Generation. Meine allgemeine Beobachtung war: Junge Talente schätzen sehr den Erfahrungs- und den Wissenstransfer über Generationen hinweg. Zu häufig aber erleben sie, dass Dominanz mit der Hierarchie begründet wird – und eben nicht von mehr Erfahrung und Souveränität abgeleitet wird. Das marginalisiert den Input jünger Kollegen und mindert den Respekt.

Wir thematisieren zurecht und zum Glück mittlerweile häufig fehlende Diversität in unserer Branche. Viel Potenzial bleibt liegen. Wir beziehen Diversität aber noch viel zu selten auf die Demographie und das Alter der Menschen, die in dieser Branche arbeiten. Ich sehe, dass sich das derzeit ändert und glaube: Wir werden absehbar (viele/neue) Netzwerke und Initiativen sehen, die Altersdiversität stärker aufgreifen. #30u30 wird eine davon sein.


nico-kunkel_150x150pxÜber den Autor: Nico Kunkel ist seit mehr als zehn Jahren professioneller Beobachter von Themen und Trends in Kommunikation, PR- und Medienindustrie. Er arbeitet als freier Journalist und Impulsgeber für Events und Netzwerke in der Branche. 2012 begründete Kunkel die PR-Nachwuchsinitiative #30u30. Er ist Herausgeber des PR Career Center, das PR-Studierende unterstützt und vernetzt. Nico Kunkel lebt in Berlin. Er twittert als @prreporter.