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Zur Verunstaltung der deutschen Sprache

Foto: AdobeStock/Falko Müller – Riesa
Die Sprache ist unser Werkzeug, der Wortschatz unser Koffer, aus dem wir uns bedienen. Ohne Ordnung in diesem Koffer können wir nicht arbeiten. Umso wichtiger, dass wir uns Gedanken darüber machen, was wir zum Arbeiten brauchen und was nicht. Ein paar Überlegungen zu geschlechtergerechter Sprache:

Grammatikalischer Geschlechterkampf

Wir müssen uns unterhalten. Über ein Thema, das mir schon eine Weile auf dem Herzen liegt. Denn es gibt einen neuen sprachlichen Super-GAU. Und ich muss euch enttäuschen, es ist nicht der Dativ. Denn der hat längst seinen Einzug in die deutsche Sprache gehalten. Daran konnte auch Bastian Sick nichts ändern. Ich verehre den Genitiv und es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich höre, wie der Dativ wieder angreift. Doch es ist nun einmal, wie es ist. Die Sprache ändert sich. Ich habe auch nicht darum geben, dass googeln, tindern und liken Einzug in den Duden halten – passiert ist es trotzdem und vielleicht war auch ich ein bisschen daran beteiligt.

Doch es gibt eine wahrlich grausame Entwicklung, die jedes Denglisch in den Schatten stellt: Der Genderwahn! Plötzlich wollen nämlich alle irgendwie nicht mehr nur mitgemeint sein, sondern auch sprachlich abgebildet werden. Aus Lehrern werden Lehrerinnen und Lehrer, aus Beamten Beamtinnen und Beamte. Mir ist das alles zuwider. Auf einmal muss ich mehr als doppelt so viele Buchstaben lesen, die Sprache wird holprig und umständlich. Es tobt ein grammatikalischer Geschlechterkampf! Denn wenn es neben dem Lehrer plötzlich auch eine Lehrerin geben soll, dann muss der Mensch auch eine Menschin bekommen, oder nicht?

Ich bin sehr zufrieden mit der Krankenschwester und dem Piloten, der Hebamme und dem Arzt. Das kann und will ich mir vorstellen, denn das sind die Rollen, die ich von klein auf gelernt habe: Der Mann ist Arzt, die Frau Krankenschwester, der Mann fliegt Flugzeuge und die Frau hilft beim Gebären. Wir müssen uns einmal ernsthaft die Frage stellen, in was für einer Welt wir leben wollen, in der Sprache respektvoll und inklusiv eingesetzt wird. Es ist viel wichtiger, dass Wörter wie Volksverräter, Lügenpresse und Willkommenskultur in den Duden aufgenommen werden. Darüber beschwere ich mich solange nicht, wie aus dem Volksverräter keine Volksverräterin wird, denn die ist schließlich mitgemeint.

Sprache im Wandel

Halt, stopp! Jetzt rede ich. Und ich habe es satt, mitgemeint zu sein. Jeden Tag versammeln sich Horden beleidigter Menschen im Netz und verschwenden ihre Zeit damit, anderen mitzuteilen, dass selbstbewusste Frauen „grammatikalisch nicht betüdelt“ werden müssen. Immer wieder tauchen Kommentare verletzter Egos in der Presse auf, die sich über die Verunstaltung des Deutschen durch gegenderte Sprache auslassen. Man kann nur Mitleid haben mit diesen Menschen, denen ihre Zeit so wenig wert ist. Mitleid mit den 100 Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichnern des Aufrufs „Schluss mit Gender-Unfug“ der aus den dubiosen Strukturen des Vereins Deutsche Sprache hervorgegangen ist. (Deren Vorstand besteht im Übrigen aus neun Männern und zwei Frauen.) Ein Aufruf, der von 85 Männern und 25 Frauen (also eigentlich 110 Erstunterzeichnende, aber mit den Zahlen nimmt der Verein es nicht so genau, die verändern sich auch nicht so häufig) und zu meinem Bedauern auch von Bastian Sick ins Leben gerufen wurde. Dass in der Überschrift des Aufrufs (siehe oben) ein Artikel fehlt, ist im Blutrausch gegen die Gleichberechtigung wohl untergegangen.

Die Begründung der selbsternannten Sprachrettenden: Die „Sorge um die zunehmenden, durch das Bestreben nach mehr Geschlechtergerechtigkeit motivierten zerstörerischen Eingriffe in die deutsche Sprache“. Es stellt sich die Frage, welche Sprache sie denn eigentlich retten wollen. Die von gestern, oder die von letzter Woche? Alle, die sich mit Sprache auseinandersetzen, sind sich darüber im Klaren, dass Sprache sich A) in einem permanenten Wandel befindet und B) mehr als Austausch bedeutet. Und an alle, die sich an der „Länge“ gegenderter Sätze aufhängen: Die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit liegt bei 250 Wörtern pro Minute. Da sollten wohl auch 255 in der gleichen Zeit kein Problem sein.

Sprache ist Macht

Sprache bildet die Gesellschaft nicht nur ab, sie schafft auch gesellschaftliche Wirklichkeiten. Sprache schafft Realitäten und Sprache ist Macht. Wir Kommunikator-innen wissen das, denn unser Handwerkszeug ist die Sprache. Durch sie üben wir Einfluss aus. Und es ist unsere Entscheidung, ob wir sie zum Positiven oder zum Negativen nutzen. Wir wissen, welche Worte welche Wirkung haben. Das Internet ist voll von Workshops zum „Richtigen Wording“, „So erreichen Sie Ihre Zielgruppe“, „Effektive Kommunikation für die Wirtschaft von morgen“, und und und. So schreiben, dass alle sich angesprochen fühlen? Pustekuchen. Mit 60 Prozent ist ein Großteil, der im Bereich Kommunikation Beschäftigten, weiblich. Und dennoch verwenden sie alle (ich pauschalisiere wegen der Dramaturgie, nicht weil es stimmt) das generische Maskulinum. Warum? Weil sie es so gelernt haben. Wenn man aber nur Gelerntes weitergibt, ohne es zu hinterfragen, dann gibt es keine Entwicklung.

Jeder Text, den wir verfassen, jede E-Mail, die wir schreiben und jedes Event, das wir organisieren, können wir gestalten. Wir haben die Macht über die Sprache, nicht andersherum. Wir nutzen diese Macht täglich, um unsere Kunden von ihrer Schokoladenseite zu zeigen und der Öffentlichkeit ihr Produkt oder ihre Dienstleistung schmackhaft zu machen. Und das ist der Punkt: Wir wenden uns an die Öffentlichkeit. Wir schreiben nicht für uns und packen den Text dann in die Schublade. Im besten Fall wird er reichweitenstark verbreitet. Es werden ihn hoffentlich tausende von Menschen lesen. Tausende von Menschen lesen im Moment von „Ingenieuren“, von „Geschäftsführern“ und „Facharbeitern“. Tausende Menschen stellen sich Männer in blauen Overalls oder schwarzen Anzügen vor. Dass das so ist, ist wissenschaftlich erwiesen – ebenso, dass Sprache Bilder erzeugt. Welche Bilder unsere Sprache erzeugt, das haben wir jeden Tag selbst in der Hand.

Sprache schafft Realität

Fragen wir uns einmal, welche Bilder nicht entstehen, wenn wir alles im generischen Maskulinum schreiben. Beim Bauarbeiter, bei der Putzfrau, beim Chef und bei der Frisöse. Weder stelle ich mir eine Frau auf einer Baustelle vor noch einen Mann mit Wischmopp. Es steht auch keine Frau im Business-Kostüm vor mir und auch kein Mann mit Schere und Kamm im Gürtel. Das bildet jedoch keinesfalls die Realität ab, dabei könnten wir das ganz einfach ändern. Die deutsche Sprache gibt uns unzählige Möglichkeiten der differenzierten Ausdrucksweise, um genau zu sein zwischen 300.000 und 500.000 Wörtern. Wenn wir wollten, könnten wir alles beschreiben. Doch nicht alle wollen. Aber wie schon Wittgenstein wusste, sind die Grenzen meiner Sprache auch die Grenzen meiner Welt. Wer in seiner Ansprache konsequent 51 Prozent der Bevölkerung außen vor lässt, dessen Welt ist eben ein bisschen kleiner.

Niemand soll sich angegriffen fühlen (lässt sich vermutlich nicht vermeiden, freue mich auf Post), aber alle sollten einen Moment darüber nachdenken, ob es sich nicht lohnt, die eigene (Schrift-)Sprache zu erweitern und an die Realität anzupassen. Es tut niemandem weh, fünf Buchstaben mehr zu tippen und niemand wird dadurch eingeschränkt, wenn wir anfangen von Lehrerinnen und Lehrern zu sprechen und zu schreiben. Wer sich dadurch eingeschränkt fühlt, hat ganz andere Probleme, die sicher nicht in der vermeintlichen Verunstaltung der deutschen Sprache liegen.


Über die Autorin: Nanna-Josephine ist Campaign Executive bei Oseon. Dort betreut sie Kunden in den Bereichen Enterprise IT und SaaS. Sie erreichen sie per Twitter unter @njroloff oder per Mail unter nanna@oseon.com.