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Twitch – das nächste große Ding in Sachen Social-Video-Content

Foto: © Fotolia/Gorodenkoff

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An anderer Stelle habe ich neulich Amazons Live-Streaming-Angebot Twitch nur unpräzise als das „Gamer-YouTube“ beschrieben. Dazu hat es Widerrede gegeben, nämlich von Tim Juhl, selbst ein Urheber auf der Plattform.

Tim arbeitet als PR-Berater in München, er ist in diesem Jahr Teilnehmer unserer PR-Nachwuchsinitiative #30u30. Und er sendet seit vier Jahren als „HerrJuhl“ bei Twitch, mittlerweile annähernd 70 Stunden pro Monat.

Aufhänger für die teils stundenlangen Streams sind Video-Spiele, das gehört nach wie vor zur DNA von Twitch. Inzwischen mischen sich in die Sendungen allerdings Talkshowelemente, in denen es etwa um Ernährung geht, um Alltag, um Persönliches. Nur religiöse und politische Themen bleiben außen vor, so will es der Betreiber.

Anders als bei YouTube schätze er ein Gemeinschaftserlebnis, das die Streamer mit ihren Zuschauern verbindet, sagt Tim. Twitch ist Dialog, während YouTuber monologisieren und ihre Inhalte teils akribisch vor- und aufbereiten. Streamer bei Twitch gehen ungeschminkt und unmittelbar online, live ist live.

Sie vertrauen sich ihrer – überwiegend männlichen – Community an, und erzeugen eine Nähe, die sich rechnen soll: Mit den Bits hat Twitch eine virtuelle Währung eingeführt, die es Zuschauern erlaubt, ihre Streamer zu alimentieren – und das auch für alle Teilnehmer im Stream sichtbar. Allerdings führte Twitch die Bits erst ein, als sich in der Community eine Spenden-Kultur längst etabliert hatte. Mittlerweile arbeiten die Streamer zur Finanzierung zudem mit Abos, sie fahren Crowdfundingkampagnen oder nehmen Sponsorships an.

Es sind aber vor allem Modelle, die kleine Streamer bevorteilen, weil sie die enge und emotionale Bindung zur Anhängerschaft mehr belohnen als schiere Reichweite und steigende Followerzahlen.

In diesem Punkt hängt YouTube Twitch nämlich locker ab. Nur zögerlich entdecken Unternehmen Twitch als Plattform, insbesondere in Deutschland. Und auch die Streamer scheinen sich noch unsicher, wie ihr Marktwert als Influencer fair zu bewerten ist.

Amazon will das ändern, Twitch soll wachsen.

Offensiv baggert das Unternehmen also Stars an, die zu Streamern werden sollen, und wildert unter YouTubern, für die Betreiber Amazon nun auch Werbeerlöse sprudeln lassen will.

Außerdem bohrt Amazon Twitch inhaltlich auf: Erstens, weil das Nerd- und Games-Image das Angebot in der Nische gefangen hält. Und zweitens, weil in den stundenlangen Streams ohnehin bereits viele Interessen abseits des Games-Fokus behandelt werden, diese für ungeübte Zuschauer aber nur schwer aufzufinden sind. Es sind ungehobene Potenziale: In der Mache sind also Tags und Kategorien, in denen künftig zu DIY, Food & Drinks, Travel oder Sport & Fitness gesendet werden soll.

Kalkül: Neue Inhalte, neue Zielgruppen.

Mit Vorfreude warte ich andererseits darauf, welche Ambitionen Twitch in Zukunft noch in der boomenden E-Sports-Industrie hat, die inhaltlich so naheliegt. Sie reift zusehends zum Milliardenmarkt, in dem große Namen heranwachsen. Es ist absehbar, dass bald auch große Marken diese mehr und mehr als passende Influencer identifizieren.

Amazon ist ein Tausendsassa in vielen Geschäftsfeldern. Es würde mich überraschen, sollte man sich ausgerechnet jenes mit Influencern entgehen lassen.


nico-kunkel_150x150pxÜber den Autor: Nico Kunkel ist seit mehr als zehn Jahren professioneller Beobachter von Themen und Trends in Kommunikation, PR- und Medienindustrie. Er arbeitet als freier Journalist und Impulsgeber für Events und Netzwerke in der Branche. 2012 begründete Kunkel die PR-Nachwuchsinitiative #30u30 (www.30u30.de). Nico Kunkel lebt in Berlin. Er twittert als @prreporter.