
Social Media scheint seinen Höhepunkt überschritten zu haben. Die Zeit, die Menschen weltweit auf Plattformen wie Facebook, Instagram oder TikTok verbringen, nimmt seit drei Jahren kontinuierlich ab. Laut einer Analyse des GWI-Instituts ist die Nutzung seit 2022 im weltweiten Durchschnitt um rund zehn Prozent gesunken – einzig in den USA ist noch ein leichter Anstieg zu verzeichnen.
Damit geraten Internetriesen wie Meta und TikTok unter Druck: Deren Umsatz hängt stark davon ab, Nutzer:innen möglichst lange auf den Plattformen zu halten. Die Financial Times spricht von einer „Zeitenwende“, die das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke infrage stellt.
Jüngere Nutzer:innen ziehen sich zurück
In Deutschland bestätigen die Ergebnisse des ARD-ZDF-Medienreports diesen Trend. Thorsten Müller, Projektleiter Medienforschung beim WDR, erklärt, dass die durchschnittlich verbrachte Zeit unter 30-Jährigen um sieben Minuten pro Tag zurückgegangen sei. Florian Tippelt, der beim Hessischen Rundfunk Nutzungsmuster von sozialen Medien untersucht, stellt fest: „Es gibt Anzeichen dafür, dass bei der Nutzung von Social Media vorerst ein Peak erreicht ist“.
Die Zahl der Nutzer:innen in Deutschland steigt nur noch, weil ältere Generationen nachziehen. Die jungen Erwachsenen hingegen hätten „schon alles durchgespielt“ und einige hätten bereits ein digitales Detox gemacht – also bewusst aufs Smartphone verzichtet, um ihre mentale Gesundheit zu schützen.
Vom Kommunikationsmedium zum Zeitvertreib
Ursprünglich sollten soziale Netzwerke Menschen miteinander verbinden. Heute dienen sie zunehmend der passiven Unterhaltung. Plattformen wie TikTok profitieren besonders vom Konsum kurzer Videos, mit denen Nutzer:innen „tote Zeit“ füllen. Nikola Noske vom Ifo-Institut beschreibt dies als Trend: „Diese Videos sind hocheffektiv darin, Aufmerksamkeit auf Plattformen zu lenken, selbst wenn viele Nutzer wissen, dass es nicht gut für ihr Wohlbefinden ist“.
Professionell gemachte Inhalte werden dabei immer häufiger per KI erzeugt. Die Programme wissen genau, welche Reize Aufmerksamkeit erregen, und sind damit zentrale Instrumente im Geschäftsmodell der Plattformen. Doch die zunehmende Automatisierung hat auch Nachteile: „Einige KI-Tools steigern zwar die Nutzerinteraktion und das Volumen der generierten Inhalte, verringern jedoch gleichzeitig die wahrgenommene Qualität und Authentizität“, so Noske. Authentizität bleibt für Nutzer:innen entscheidend: „Sie wollen etwas Echtes sehen, nichts, was für die Generierung von Aufmerksamkeit gemacht ist“.
Social Media als anti-soziales Medium
Auch internationale Daten bestätigen die Abkehr: John Burn-Murdoch von der Financial Times beschreibt die Entwicklung als Wandel von einem Ort, an dem Menschen Updates austauschten, hin zu einem zunehmend antisozialen Raum, in dem echte Interaktion von endlosem Scrollen verdrängt wird. Die GWI-Daten zeigen, dass der Anteil der Nutzer:innen, die soziale Plattformen nutzen, um mit Freund:innen in Kontakt zu bleiben, sich auszudrücken oder neue Menschen zu treffen, seit 2014 um mehr als ein Viertel gesunken ist. Gleichzeitig steigt das reflexive Öffnen der Apps, um Langeweile zu überbrücken, was den Wandel von bewusstem zu gedankenlosem Browsen verdeutlicht.
Burn-Murdoch kommentiert: „Viele dieser Apps sind längst keine sozialen Apps mehr, sondern reine Bildschirmzeit-maximierende Apps, die versuchen, jede zusätzliche Sekunde zu erhaschen“.
Ein Hoffnungsschimmer besteht darin, dass diese Abkehr möglicherweise zu bewussteren Mediennutzungsmustern führen könnte. Wenn der Trend der Abkehr auch in Nordamerika, dem einzigen noch wachsenden Markt, ankommt, könnte das langfristig zu mehr echten sozialen Interaktionen führen.
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