Immer mehr Zuschauer nutzen parallel zum Fernsehprogramm ihr Smartphone oder Tablet. Dadurch wird das Mobilgerät zum zweiten Bildschirm, zum „Second Screen“. Das bringt neue Chancen sowohl fürs TV-Programm als auch für werbungtreibende Unternehmen mit sich: Einerseits tauschen sich die Zuschauer via Social Media über das laufende Programm aus („Social TV“), was von Sendungen wie „Wetten dass“ (ZDF) und „Das Supertalent“ (RTL) durch eigene Apps befördert wird. Andererseits gilt der Second Screen auch als einer der Wegbereiter für den mobilen Einkauf per Smartphone oder Tablet. Denn mancher Zuschauer trifft spontan eine Kaufentscheidung, wenn er ein Produkt im Fernsehen sieht, und kann es dann im Handumdrehen vom Sofa aus kaufen („Couch Commerce“).
Interaktives Fernsehen rückt näher
Durch das Phänomen „Second Screen“ rückt ein alter Traum wieder näher: der des interaktiven Fernsehens. Der TV-Anbieter könnte sich damit nun endlich vom Sende- zum Dialogmedium wandeln. Fraglich ist allerdings, ob die entstehende Kommunikation tatsächlich zwischen Nutzern und Machern stattfinden oder „Social TV“ vielmehr zum digitalen Lagerfeuer-Ersatz wird, bei dem sich Zuschauer nur mit anderen Zuschauern in der Ferne über laufende Sendungen austauschen.
Um dem Trend auf die Schliche zu kommen, bietet sich am Sonntagabend eine Suche bei Twitter nach dem Hashtag #tatort an: Dort tauschen sich oft tausende Zuschauer zum laufenden „Tatort“ der ARD aus. Dadurch entsteht eine Art crowd-basierter Liveticker zum Film, in dem die wichtigsten Ereignisse aufgegriffen und kommentiert werden. Die ARD selbst hat für den „Tatort“ zudem mittlerweile einen eigenen Twitter-Account eingerichtet und greift dort vereinzelt Twitter-Kommentare der Zuschauer auf. Echter Dialog findet aber noch nicht statt.
Startups für Second Screen sprießen aus dem Boden
Derweil sprießen immer neue Plattformen für den „Second Screen“ aus dem Boden: Startups wie Couchfunk, GetGlue, Waydoo, Wywy, Zapitano und Zeebox verfolgen einen senderübergreifenden Ansatz, der meist Elemente eines elektronischen Programmführers mit dem Plaudern über die Sendungen selbst verbindet. Die Entwicklung ist speziell in den USA und Großbritannien schon weit fortgeschritten: Dort kooperieren die Sender teils direkt mit den „Second Screen“-Plattformen.
Unterdessen springen auch deutsche Sender auf den Zug auf: RTL bietet bei der neuen „Supertalent“-Staffel via iPad-App „TV-synchron einmalige Einblicke und spannende Interaktionsmöglichkeiten“, wie der Sender stolz mitteilt. Und auch das ZDF hat zum Start von „Wetten dass“ mit Markus Lanz eine entsprechende App ins Rennen geschickt: Dort gab es während der Premiere am Samstag Hintergrund-Infos zur laufenden Sendung, Abstimmungsmöglichkeiten zu verschiedenen Wetten sowie eine Plauderecke. Dort musste sich der Sender dann aber auch negative Statements wie „die Gäste beim Countdown werden ja immer peinlicher“ oder „die Auftritt-Situation ist eine Katastrophe“ gefallen lassen – und das auf seiner eigenen Plattform. Denn die Kommentare wurden in Echtzeit in die App gespielt und griffen dabei automatisiert auch auf Twitter zu. Doch mit Kritik kennt man sich beim ZDF ja aus. Ein dickes Social-Media-Fell darf unterstellt werden.
Echte Interaktion mit dem Sender ist noch eine Seltenheit
Von einer echten Interaktion mit dem Zuschauer war bei „Wetten dass“ aber wenig zu merken - anders als beim TV-Experiment „Rundshow“ des Bayerischen Rundfunks im Juni, bei dem Moderator Richard Gutjahr die Sendung mit einem „Hallo Internet“ als Begrüßung begann. Mit einer Smartphone-App namens „Die Macht“ konnten die Zuschauer abstimmen, kommentieren und eigene Inhalte hochladen. Zudem wurden Plattformen wie Twitter, Facebook und Google Hangout genutzt. „Was wir von unserem Publikum gelernt haben, ist die Erkenntnis, dass wir Programmmacher uns nicht länger am ‚dümmsten anzunehmenden Zuschauer‘ ausrichten dürfen“, sagt Moderator Richard Gutjahr. „Die Kritik, die wir nach den ersten Sendungen von den Zuschauern über Twitter und Co. bekommen haben, war überaus wertvoll und traf den Nagel oft auf den Kopf.“
Gerade bei Sportereignissen nimmt der „Second Screen“ schon eine wichtige Rolle ein: Zu den Olympischen Sommerspielen 2012 gab es laut offiziellen Twitter-Angaben 150 Mio Tweets mit Olympia-Bezug. Die Nutzungsspitze lag bei über 80.000 Tweets in einer Minute, als Usain Bolt die Goldmedaille über 200 Meter holte. Twitter will die Beliebtheit von „Social TV“ jetzt nutzen, um sich selbst als ideale Plattform dafür zu positionieren: So gibt es mittlerweile eine eigene Themenseite, die die Tweets zu allen Spielen der Fußball-Bundesliga darstellt.
Sky-Chef glaubt nicht an Second Screen
Auch hier wollen die Sender selbst mitmischen: So weist der Bezahlsender Sky aktuell in seinen Live-Übertragungen zur Bundesliga daraufhin, die Zuschauer sollten sich doch bitte mittels des sender-nahen Hashtags #SkyBuli via Twitter äußern. Skurril mutet da schon fast an, dass Sky-Chef Brian Sullivan erst vor wenigen Tagen in einem Interview mit DWDL sagte: „Wir bei Sky glauben nicht an Second Screen.“ Noch merkwürdiger ist seine Aussage aber, wenn man weiß, dass sich Sky in Großbritannien mit 10 Prozent an dem Startup Zeebox beteiligt hat. Sullivan hält dennoch wenig vom zweiten Bildschirm: „Generell ist Fernsehen nun einmal ein entspannendes, passives Vergnügen. Der Zuschauer will keine Spielereien zum Live-Programm auf seinem Smartphone. Er will das Programm überall schnell und einfach verfügbar haben.“ Ob „Second Screen“ ein Nischenangebot für wenige tausend Zuschauer bleiben wird oder zum Trend für alle mutieren kann? Wir werden es erleben – auf welchem Bildschirm auch immer.
Über den Autor: Florian Treiß (31) ist Gründer von mobilbranche.de und informiert in einem kostenlosen Newsletter mobile Entscheider über News und Trends in Mobile Marketing und Mobile Business. Er war bis März 2012 stellvertretender Chefredakteur beim Medienfachdienst turi2.de und hält Vorträge zu Themen wie Social, Local, Mobile und dem digitalen Wandel von Medien.