by

Der Waschzettel – PR in der Musikindustrie

Waschzettel aus der Musikindustrie haben keinen guten Ruf unter Journalisten. Das kann man sich leider nicht schönreden. Aber man kann zumindest versuchen, das Image besagter Kurzbiographien, die CDs beiliegen, aufzubessern. Denn wenn ein Künstler nicht nur schnöde vermarktet, sondern so verstanden und verkauft wird, dass Journalisten sich angesprochen fühlen, stehen die Chancen gut, dass besagter Tonträger auch in Ihrem gewünschten Medium veröffentlicht wird. Dafür sind einige Dinge aber unumgänglich:

1. Arbeiten Sie mit Profis

Ja ja, Plattenfirmen sind vielleicht das neue Griechenland, aber dennoch sollten Sie sich klar darüber sein, dass ein geringes Budget für einen Künstler noch so gering sein kann: Wenn Sie es falsch einsetzen, geht Ihr Act baden, ehe sie „Charts“ überhaupt aussprechen können. So schlecht der Ruf von Waschzetteln in der Musikindustrie unter Journalisten ist, so unerlässlich sind sie auch – wie sonst sollen Sie Redakteure dazu bringen, Ihren Künstler im Musikressort zu rezensieren? Deshalb sollten Sie sich gut überlegen, ob Sie den putzigen Praktikanten aus der Marketingabteilung einen Schulaufsatz über „Mein toller neuer Künstler“ schreiben lassen oder doch lieber einen Profi an Bord holen. Und nein, bevor Sie jetzt denken: Klar, das schreibt eine freie Autorin, die von Waschzetteln lebt: Da täuschen Sie sich. Denn ich sitze (als Journalistin) häufiger auf der anderen Seite und lese grottenschlechte Waschzettel – Texte, die dazu führen, dass ich ein Album absichtlich nicht anhöre. Denn Sie sollten sich klar machen: Musikseiten haben begrenzten Platz für CD-Vorstellungen. Und aus einem Haufen schlechter Pressetexte zu neuen Künstlern wählt man letztlich den, der am wenigsten schlecht ist. Das heißt: Weder Ihr Label, noch Ihr Künstler profitieren davon, wenn Ihr Waschzettel auf Fünftklässlerniveau geschrieben ist.

2. Seien Sie die Schnittstelle

Haben Sie sich dazu entschieden, einen professionellen Texter für Ihren Waschzettel zu buchen, müssen Sie ihn ordentlich briefen – oder, wenn Ihnen selbst die Ideen ausgehen, mit dem Künstler vernetzen. Denn das Endprodukt, sprich: der Act, die Musik, der Sound, den Sie verkaufen wollen, den kennt einfach der am besten, der ihn macht, sprich: der Musiker. Sind Sie das Label, können Sie sich jetzt zurücklehnen und den Autor und den Künstler interagieren lassen. Sind Sie jedoch der PR-Autor, sollten Sie sich bewusst machen, dass Sie eine Schnittstelle sind: Klar ist, dass ein Label Sie beauftragt (und bezahlt), doch das darf nicht auf Anhieb heißen, dass das Label alleine entscheidungsbefugt ist. Soll heißen: Sie schreiben über ein Musikprodukt, hinter dem ein Mensch steht. Ein Mensch, der meistens eine eigene Meinung darüber hat, was er möchte. Ein Mensch, der zwar wie Sie von der Plattenfirma beauftragt ist, Musik zu machen, aber in jedem Fall ein Mensch, dem Sie zuhören sollten. Im Zweifelsfall besser als seinem Label! Denn ein Waschzettel ist nur gut und authentisch, wenn Sie beide Seiten hören. Sie sind die Schnittstelle zwischen Plattenfirma und Künstler und müssen beiderlei Wünsche in einem Text vereinen. Eine Marketingabteilung denkt vorwiegend an Verkäufe, ein Künstler an seine Musik – Sie sind dazwischen und haben den Job, beide Belange miteinander zu verknüpfen und vor allem: Alle Seiten zufrieden zu stellen.

3. Gehen Sie Kompromisse ein

Und das bedeutet im ersten Schritt, dass Kompromisse gemacht werden müssen. Das Label wird Ihnen vermutlich Schlagworte für den Waschzettel vorgeben. „Im Stil von Star xy“ ist sehr beliebt. „Fresh“ und „crazy“ oder „sensual“ soll es sein – und natürlich „noch nie dagewesen“. Der Künstler sagt Ihnen vermutlich andere Schlagworte, aber in jedem Falle auch, dass er etwas macht, das es vorher noch nie gab. Er reagiert aber gewiss stinksauer, wenn Sie das (vom Label vorgegebene) „im Stil von Star xy“ ansprechen. Sie tanzen auf Eiern, egal mit welcher Partei Sie arbeiten. Deshalb sind Kompromisse unerlässlich. Und Sie müssen diese koordinieren. Ich habe Waschzettel geschrieben, in denen gewisse Sätze von der Plattenfirma als albern betitelt wurden, während sie dem Künstler am wichtigsten waren. Hier meckert man nicht, sondern ist das Zünglein an der Waage – und vermittelt, damit letztendlich jede Partei zufrieden ist. Denn am Ende des Tages stehen Sie noch immer in der Mitte. Und es ist Ihr Job, dass alle glücklich sind – egal, ob Sie das als Fluch oder Segen bezeichnen. Sie sind quasi der Therapeut.

4. Erkennen Sie Befindlichkeiten

Die Arbeit an Waschzetteln bedeutet im Idealfall die Arbeit mit Künstlern. Ich habe es zwar auch erlebt, dass ich für eine Künstlerbiographie gebucht wurde, ohne je mit besagtem Künstler zu reden, aber davon rate ich ab. Vielleicht spart man Zeit, aber ich lasse mich lieber von manchem Sonderwunsch eines Künstlers nerven, als einen seelenlosen Text zu schreiben, der nur meinen Stempel trägt und nicht den des Künstlers. Man mag vielleicht geteilter Meinung sein, ob in besagtem Waschzettel Zitate der Künstler sind, aber selbst wenn man darauf verzichtet, lebt ein Waschzettel von dem, was eine Musik ausmacht – und die kann einem noch immer der Künstler besser erklären als eine Plattenfirma. Reden Sie daher in jedem Fall mit dem Macher der Musik und nicht nur mit dem Vermarkter. Zumal eines klar ist: Wird ein Waschzettel durch (brauchbare) Zitate eines Künstlers lebendig, stehen die Chancen gut, dass ebendiese abgedruckt werden. Journalisten arbeiten unter starkem Zeitdruck und hören vielleicht kein ganzes Album durch. Wenn sie brauchbare Zeilen geliefert bekommen, nutzen sie diese gern als Basis.

5. Lassen Sie sich auf die Musik ein

Klar, Sie sind nicht David Copperfield und können aus Scheiße kein Gold machen. Aber Sie sollten es versuchen! Denn in dem Moment, wo Sie einen Waschzettel schreiben, müssen Sie besagten Musiker nicht nur mögen, sondern verinnerlichen. Ich werde oft zu einem Zeitpunkt gebucht, wo Künstler noch im Studio sind und es keine Endprodukte gibt, aber ich bestehe darauf, wenigstens ein halbes Album in Rohmastern zu bekommen, damit ich ein Gespür für den Sound bekomme. Und dann höre ich mir die Songs einen Tag lang in der Endlosschleife an, bis ich die Nummern nicht nur auswendig kann, sondern auch fühle und verstehe. Ich bin der Meinung, dass man erst dann etwas darüber zu sagen hat. Das funktioniert übrigens auch bei Musik, die man sonst nicht mag: Wenn man sich auf die fremden Klänge einlässt und über den Tellerrand guckt, dann kann man auch diesen Sound verkaufen. Und schreiben Sie am besten so darüber, dass Sie andere erreichen. Das ist nicht nur Ihr Ziel, sondern auch Ihr Job – auch wenn Sie danach vielleicht eine Therapie brauchen.

6. Dehnen Sie die Wahrheit gekonnt

Das Label ist der böse Wolf, der Künstler ist Rotkäppchen – und Sie sind im idealen Fall der gute Jäger, der alle rettet. Oder Sie tun so als ob. Ich will nicht lügen, indem ich sage, Sie sollen nicht lügen – denn Sie werden es tun. Sie werden garantiert mal schreiben, wie grandios ein Song ist, obwohl sich Ihre Zehennägel aufrollen, Sie werden über so genannte „Achtungserfolge“ berichten und damit den 147. Platz in den Grevenbroicher Heimatcharts schönreden. Sie werden die unglaubliche Bandbreite eines Albums loben, das Sie nach dem zweiten Song mit akuten Magenschmerzen abgedreht haben. Lügen wirft Ihnen niemand vor. Nur, wenn Sie sich dabei dämlich anstellen. Informationen zu fälschen, die selbst ein unerfahrener Praktikant am ersten Tag auf Wikipedia entlarven kann, ist albern. Erfolge, die eigentlich keine waren, aber nicht nachprüfbar sind, kann man hingegen etwas frisieren. Dennoch sollten Sie vorsichtig sein – und sich vor allem nicht erwischen lassen, wenn Sie schon das Gefühl (oder keine andere Möglichkeit) haben, zu lügen.

7. Verzichten Sie auf Floskeln, Plattitüden und Superlative

Eine Plattenfirma will ihr Produkt natürlich so gut wie möglich verkaufen. Und gibt Ihnen womöglich stehende Floskeln, peinliche Phrasen und – am allerschlimmsten – irgendwelche Superlative vor, mit denen Sie den Künstler umjubeln sollen. „Das meistverkaufte Album“, „der beste Künstler aller Zeiten“, „das frenetisch umjubelte Album“ – danke, aber nein danke! Superlative lesen sich in Ihren Augen vielleicht hübsch, sagen dem zuständigen Redakteur jedoch, dass Sie keine anderen Argumente hatten – und er springt ab. Generell gilt: Floskeln, Plattitüden und Superlative sind Informationen, die ein Journalist nicht wissen will. Wenn das Label es unbedingt möchte, schaffen Sie es vielleicht, diese schnöden Fakten in Nebensätzen abzuhandeln. Wenn es jedoch auf eine prominente Platzierung besteht, rate ich Ihnen, am Ende des Waschzettels einen kleinen Infokasten anzufügen, beispielsweise á la „Über den Künstler“ oder „Daten & Fakten“. Letztlich ist es so, dass ein Journalist durchaus selbst weiß, wie er an Verkaufszahlen oder Auszeichnungen kommt. Deshalb ist er ja Journalist. Daher rate ich stark von trockenen Aufzählungen ab, auch wenn Sie oder das Label stolz auf bisherige Ergebnisse sind. Hier gilt einfach: Keep it simple – und schonen Sie den Redakteur.

8. Ver(wasch)zetteln Sie sich nicht

Genauso sollte es sich mit dem Umfang einer Künstlerbiographie verhalten. Ein Waschzettel ist kein seitenlanges Essay, sondern ein Waschzettel: und der hat im Idealfall eine A4-Seite. Zwei Seiten lasse ich auch noch durchgehen. Alles, was darüber hinaus geht, interessiert niemanden und landet im Müll. Schreiben Sie auf den Punkt, aber schwafeln Sie bitte nie! Denn in der Masse der Waschzettel, die auf den Schreibtischen von Redakteuren landen, findet niemand die Zeit, ihre Textwüsten zu studieren. Kommen Sie einfach auf den Punkt, fesseln Sie von der ersten Zeile an und bleiben mit einem guten, letzten Satz in Erinnerung. Dazwischen sollte nur Platz sein für den Inhalt der Musik, die Sie in Worte fassen sollen. Ansonsten gilt: Wer nichts zu sagen hat, hält die Klappe!

9. Spüren Sie das Produkt – und vor allem: den Menschen dahinter

Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie das Album, über das Sie schreiben, auch selbst kaufen. Aber Sie sollten zumindest so tun, wenn Sie darüber schreiben. Und Sie sollten verstehen, was hinter dem Künstler steckt, den Sie in Ihrem Waschzettel verkaufen. Denn nur so können Sie einen Text schreiben, der dem Produkt entspricht. Ich möchte grundsätzlich das Wort „Produkt“ vermeiden, wenn ich von einer neuen CD spreche, daher tue ich es nur hier und rate: Seien Sie produkttreu in Ihrer Art zu schreiben. Soll heißen: Nehmen Sie die Tonalität des Musikprodukts auf und übertragen es in Ihren Text. Ein Waschzettel über Cro sollte nicht lyrisch sein, ein Waschzettel über Herbert Grönemeyer nicht im Hip-Hop-Slang, ein Waschzettel über Andrea Berg nicht in nüchterner Buchhalter-Manier. Schlicht gesagt: Kennen Sie das Produkt, begreifen Sie es – und den Menschen dahinter. Schreiben Sie Ihren Waschzettel immer mit dem Künstler im Hintergrund. Denn es geht um ihn – nicht um Sie.

10. Ersparen Sie sich (und anderen) Eitelkeiten

Als PR-Journalist haben Sie jetzt Ihren Job getan. Jetzt kommt wieder das Label ins Spiel. Denn auch wenn der Künstler Ihren Text für gut befunden hat, kommt nun die Plattenfirma und sagt Ihnen, ob Sie Ihren Job gut gemacht haben oder nicht. Denn das Label ist der Endabnehmer und verschickt schließlich Ihren Waschzettel. Ich hatte Situationen, wo meine Pressetexte 1:1 rausgingen. Und Situationen, wo noch 17 Leute mitgeredet und meinen Waschzettel überarbeitet haben. Hier gilt: Die eigene Eitelkeit zurückhalten, aber den Künstler verteidigen. Sprich: Soll die in Ihren Augen wunderhübsche Syntax aufgebrochen werden, müssen Sie damit leben. Wird dadurch aber die Botschaft des Musikers verfälscht, müssen Sie eingreifen und ihn verteidigen. Vielleicht liest sich das nach „Amnesty International“, aber in meiner Arbeit als Waschzettel-Beauftragte habe ich eines gelernt: Es geht um Menschen. Es geht um Respekt. Aber vor allem geht es für mich um Loyalität. Nicht dem Menschen gegenüber, der mich bezahlt, sondern dem Menschen gegenüber, über den ich schreibe, und gegenüber dem Produkt, was im besten Fall sein Herzblut ist. Denn der Künstler hat mehr zu verlieren als seine Plattenfirma.

Über die Autorin: Jasmin Kreulitsch (34) ist seit 2008 freiberufliche Autorin für Print, Online, TV und PR und verantwortete zuvor als Chefredakteurin mehrere Jugendzeitschriften, u.a. „CHICA“, „Top of the Pops“ und „Best of the Dome“.