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Klippen der Klischees.

Die Piraten sind auf ihrem Kurs zu einer neuen Partei erneut auf die Klippen der Klischees aufgelaufen. Klischees, wie ein Parteitag auszusehen hat. Klischees, wie ein Meinungsbildungsprozess in einer Partei zu funktionieren hat. Klischees, wie sich Politiker zu kleiden haben. Klischees, wie normative Politik auszusehen hat.

So lebt die Berichterstattung über den Bundesparteitag der Piraten in Bochum vor allem davon, dass man das abstraft, was nicht erreicht wurde oder anders aussieht als bei anderen Parteien. Dieser Abgleich mit der etablierten Politik ist natürlich legitim und Kritik ist immer erlaubt – allerdings hinkt der Vergleich stark.

Die Piraten sind eine Partei im Aufbau. Sie versuchen mit neuen technischen Mitteln und konsequenter Basisdemokratie zu einem politischen Programm zu finden und eine Identität zu entwickeln. Die Piraten mit anderen Parteien zu vergleichen, die finanziert aus Millionen von Steuergeldern und jahrelanger Übung in der medialen Zurschaustellung ihrer Meinungsfindungsprozesse eine bessere Show abliefern, führt nur dazu, dass wir einen politischen Einheitsbrei erschaffen, der die Politikverdrossenheit nach sich zieht, die man heute so oft spürt.

Wenn ich die Wahl habe zwischen Hinterzimmer-Ämtervergabe und politischen Seilschaften oder reger, teilweise chaotischer Diskussion, dann bin ich mir nicht sicher, was mir besser gefällt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie lächerlich der mediale Mainstream die strickenden und säugenden Mütter auf den Parteitagen der Grünen fand, die damals mit ähnlichen Idealen und Anlaufschwierigkeiten eine Partei gegründet hatten. Das konnte aber nicht verhindern, dass diese Partei drei Jahre nach ihrer Gründung in den Bundestag einziehen konnte. Die Grünen haben sich durch thematische Fokussierung und konsequente politische Prinzipien in der Parteienlandschaft etabliert und nicht dadurch, dass sie aussahen wie SPD, CDU oder FDP.

Es ist schon lustig, wie der Sandaletten-Skandal um den Piraten Geschäftsführer Johannes Ponader an die Turnschuh-Diskussion um Joschka Fischer erinnert. Wie sehr sich unsere Medien doch auf Oberflächlichkeiten konzentrieren können, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, die politischen Sachverhalte zu diskutieren.

Oder nehmen wir die Berichterstattung über den Antrag auf dem Parteitag, der die Erforschung von Zeitreisen forderte (wiki.piratenpartei.de >>). Hier wurde so getan, als wären die Piraten wirklichkeitsfremd und verrückt. Es geht aber um etwas recht Segensreiches in diesem Antrag, nämlich darum, die Nabelschau der Partei zu beenden und eine politische Diskussion über die Zukunft zu führen. Wörtlich heißt es im letzten Absatz des Antrags: „Sollte sich der Plan einer Zeitmaschine und eines Beauftragten für die Korrektur unerwünschter Zeitlinien nicht umsetzen lassen, möge die BPT beschließen, endlich die Beschäftigung der Piratenpartei mit sich selbst zu beenden und sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die vor ihr liegt: Das Gewinnen der Bundestagswahl (das seinerseits notwendig für die Umsetzung des Plans zum Bau einer Zeitmaschine ist).“

Dieser Teil wurde medial leider unterschlagen. Dabei enthält er einen Aufruf, den wir jeder Partei entgegenschmettern sollten. Auch wenn ich nach diesem Parteitag mein Kreuzchen bei der nächsten Wahl nicht neben dem Piratensymbol machen werde, glaube ich, dass wir die Piraten als politisches Aufputschmittel in einem klischeebehafteten und in Symbolik erstarrten Politikprozess der Gegenwart brauchen.

Über den Autor: Uwe Mommert ist Vorstand für Vertrieb und Produktion der Landau Media AG. Darüber hinaus ist er begeisterter Web 2.0-Fan und immer an innovativen Ideen interessiert. Für medienrot.de kommentiert Uwe Mommert regelmäßig das Mediengeschehen.