Das Internet ist an allem Schuld! Zu dieser einfachen Lösung spitzen sich oft Diskussionen über politische Probleme zu. Menschen sind in ihren Meinungsblasen eingeschlossen und beschäftigen sich nicht mit den wichtigen politischen Problemen. Wenn sie es doch tun, dann hören sie den falschen Menschen zu und stimmen für die falschen Lösungen.
Früher war alles besser! Da hat man um 20:00 Uhr die Menschen vor der Tagesschau versammelt und eine „Öffentlichkeit“ hergestellt. Politiker regierten das Land mit Bild, BamS und Glotze und der Bürger übernahm noch seine Pflicht der politischen Meinungsbildung ohne sich zu radikalisieren.
Ich denke, diese einfachen Erklärungsmuster sind nichts weiter als Ausreden. Was fehlt, sind nicht die interessierten Zuhörer, sondern die faszinierenden Erzähler, die unbequeme Wahrheiten aussprechen und für komplizierte Lösungsansätze begeistern können.
Als ich letztens die Serie „Babylon Berlin“ schaute, fiel mir auf, dass bereits vor den elektronischen Medien, in einem reinen Printzeitalter, Meinungsblasen gebildet wurden. Der Kiosk in der Serie war voll mit unterschiedlichen Tageszeitungen, von denen jede eine politische Richtung bediente. Meine Recherche bei Wikipedia ergab: 1932 gab es in Deutschland über 4.500 Zeitungen mit einer Auflage von 25 Millionen. Auch damals las der Wähler das, was in sein Weltbild passte. Das Phänomen der „Meinungsblasen“ ist nicht neu und schon gar keine Erfindung des Internets.
Ich glaube nicht, dass es in Deutschland eine Politikverdrossenheit gibt. Ich glaube auch nicht, dass es schädlich ist, wenn es viele Kanäle zu Meinungsbildung gibt, die teilweise ein sehr konträres Weltbild darstellen. Meinungsvielfalt ist ja eher ein Merkmal der Demokratie und niemand kann dem Wähler vorschreiben, wo er sich informiert. Ganz im Gegenteil, wer Meinung und Meinungsbildung normieren und standardisieren will, befindet sich bereits auf dem Weg raus aus der Demokratie.
Das Internet ist eine enorme Bereicherung für die politische Meinungsbildung und einen demokratischen Prozess. Leider haben das viele Parteien und Politiker einfach noch nicht verstanden. Sie senden langweilige Inhalte ohne Dialogangebot und beschimpfen dann den Wähler, wenn dieser ihnen nicht zuhören will. Dabei verkennen sie eins: Das Herstellen einer Öffentlichkeit ist die Aufgabe des politischen Kommunikators. Wer Menschen erreichen will, muss sie ernst nehmen. Er muss sich ihre Probleme, Sorgen und Ängste anhören und verständliche Lösungsansätze anbieten. Wer denkt, dass durch Schreiorgien in Talkshows eine politische Öffentlichkeit erreicht wird, liegt falsch.
Noch nie war es so einfach, mit tollen politischen Inhalten viele Menschen zu erreichen. Noch nie war es so einfach dem „Volk aufs Maul zu schauen“ und zu sehen, was die Menschen wirklich bewegt. Die aktuelle Wahlergebnisse zeigen deutlich, wer das verstanden hat und wer eben nicht. Nun gilt es, seine Hausaufgaben zu machen und eine Reise ins Neuland anzutreten, dort findet man die Wähler von morgen.