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Der DIY-Shitstorm aus der Medienhölle

Es ist bereits einige Zeit her, dass Anneli Botz mit der Berliner Medienbranche abrechnete. „Überstunden, Lügen, Arschlöcher“ lautete die Dachzeile des Artikels, in dem die gebürtige Kölnerin Tacheles redet. Sie beschreibt ihren Arbeitsalltag als Redakteurin bei einer Berliner Produktionsfirma – ehrlich und ungeschönt.

Hier noch mal eine kurze Zusammenfassung: Mit einem Magisterabschluss in Kunstgeschichte, Philosophie und Anglistik in der Tasche stürzte sich Anneli Botz ins Berufsleben – als Praktikantin. Immerhin: Die neue „Generation Praktikum“ wird bezahlt. Einer aktuellen Umfrage der Online-Jobbörse Absolventa und des Beratungsunternehmen Clevis zufolge sind 82 Prozent der PraktikantInnen mit ihrem Arbeitgeber zufrieden. Auch Praktikantin Anneli machte das Beste aus ihrer Situation: Sie überlebte die Kündigung des gesamten fünfköpfigen Redaktionsteams, wandelte ihren Praktikantenstatus nach einigen Verhandlungen in den einer Redakteurin um und steigerte ihr Gehalt von 400 auf 1.000 Euro netto. Arbeitsaufwand und Verantwortung stiegen, genauso wie die Zuschauerzahlen der Website. Trotzdem forderte die Chefetage noch mehr Engagement. Was dann folgt, ist Geschichte: Anneli Botz kündigte – fristlos. Ihre Erfahrungen schrieb sie zwei Monate später nieder. Und polarisiert damit!

Der Artikel bekommt über 11.000 „Gefällt mir“-Bekundungen, wird weitergezwitschert, gepinnt und von „LeidensgenossInnen“ kommentiert.

Doch auch andere Stimmen werden laut. Der Bremer PR- und Social-Media-Berater Nicolas Scheidtweiler widmet sich dem Artikel ausführlicher und zieht ein klares Fazit: „Nach diesem zickigen Backfisch-Wutausbruch kann ich nur hoffen, dass Anneli Botz wieder in die Spur kommt und die Gegebenheiten annimmt wie sie sind: Sie hat lange für ein wenig qualifizierendes Studium gebraucht. Der Wettbewerb in der Branche ist hart, da es so gesehen keine klaren Einstiegsmöglichkeiten gibt. Und zuletzt Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“

Hoppla, damit provoziert Nicolas Scheidtweiler – ganz bewusst, wie er auf seiner Facebook-Seite („Ich baue mir gerade bewusst meinen ersten eigenen Mini-Shitstorm.“) und später auch auf seinem Blog, wo er eine DIY-Anleitung für einen Shitstorm nachliefert, schreibt. Auch wenn ihm die Sympathiebekundungen jetzt nicht gerade zufliegen, Nicolas Scheidtweiler hat eines erreicht: Aufmerksamkeit! Am Tag der Veröffentlichung seines Artikels wurde seine Website vier Mal so häufig aufgerufen wie an „normalen“ Tagen.

Der Vollständigkeit halber: Anneli Botz hat sich selbst auch noch einmal zu Wort gemeldet. Im Interview mit W&V erklärt sie, warum sie an die Macht des Aufbegehrens glaubt und wie es dazu kam, dass die Berliner Medienbranche zur „Hölle“ wurde: „Der Begriff „Hölle“ ist de facto überspitzt dargestellt. Mein Artikel trug ursprünglich den Titel „Von der Unfreiheit frei zu sein“. Mir war aber bewusst, dass ein Medium wie Amy&Pink eine etwas andere Schreibe hat, was dies anbelangt. Insofern habe ich dem Blog die Titelwahl überlassen.“ Das ganze Interview gibt’s hier zum Nachlesen >>

Ohne die beiden ursprünglichen Texte inhaltlich zu bewerten – sie haben eines geschafft: Sie haben für Aufmerksamkeit gesorgt, Klicks geerntet und Kommentare gesammelt.

Was nehmen wir aus der Medienhölle mit?
– Eine gute Headline ist die halbe Miete.
– Übertreibung macht anschaulich!
– Wenn es Thema – und Ihr Chef – erlauben: Seien Sie spitz und provozieren Sie. Das ruft Reaktionen hervor – (Achtung!) positive wie auch negative.
– Behalten Sie die Deutungshoheit – oder holen Sie sie sich mit einem geschickten Kniff zurück. Nicolas Scheidtweiler hat vorgemacht, wie das geht.

Also, nur Mut!

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Über die Autorin:

Nicole Storch ist freiberufliche Autorin für Print und Online. Zuvor betreute sie als Redakteurin beim Egmont Ehapa Verlag zahlreiche Kinder- und Jugendzeitschriften. Während ihres Studiums der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der UdK Berlin arbeitete sie bereits als freie Texterin für verschiedene Agenturen.