Die Kostenlos-Kultur bei Agentur-Pitches schadet vor allem dem Vertrauen in Geschäftsbeziehungen – und das schon in der Anbahnungsphase. Wir brauchen mehr Date-Charakter in der Geschäftsanbahnung, denn sonst leidet die Qualität der Arbeit.
Wenn Paare eine Beziehung eingehen, passiert das auf Basis von viel Zuneigung und Zugeständnissen – Vertrauensvorschuss ist das Zauberwort. Das kennen wir alle! Wir tragen eine rosarote Brille, und wir selbst verhalten uns so, als bräuchte der andere eine solche Brille gar nicht – wir machen ja sowieso alles, was ihr oder ihm gefällt. Irgendwie vermisse ich diese Art der Anbahnung in der Agenturwelt.
Warum? Na, wegen der Leidenschaft! Wenn ich für ein richtig geiles Thema brenne, vergesse ich die Zeit, komme in den Flow und weiß nicht so recht, wo ich endlich aufhören soll. Das kommt euch doch bekannt vor, oder? Mir hilft dann nur zeitliche Limits zu setzen. Wie oft habe ich mich bei ausufernden Recherchen und Plänen während Pitch-Vorbereitungen ertappt! Und wie oft habe ich diese Art der Hingabe und Wertschätzung auf der anderen Seite vermisst!
Beziehungsarbeit beginnt beim Briefing
Es ist kein Geheimnis, dass Agenturen trotz der vielen Diskussionen um die Kostenlos-Kultur in Agentur-Pitches regelmäßig um Etats „for free“ pitchen – auch wenn die einhellige Meinung ist, dass es zumindest monetäre Wertschätzung mit Symbolcharakter braucht. Dass fünf Agenturen kostenlos um einen einzigen Etat pitchen, ist leider die Regel. Ungewöhnlich finde ich das aber trotzdem. Noch ungewöhnlicher finde ich, dass sich Auftraggeber für das Briefing inzwischen teilweise nicht mal mehr Zeit nehmen. So sind unvorbereitete Ansprechpartner, keine Vorstellungen von den Zielen oder ein Briefingcall für mehrere Agenturen gleichzeitig völlig normale Härte. Wenig Aufwand, hoher Anspruch an die Pitches und viele kostenlose Ideen. Beziehung? Nun ja.
Der Pitch – Die Jagd beginnt!
Da stecken wir doch gerne noch mehr Energie in die Recherche. Aber lassen wir die Ironie – das Naturell eines PRlers ist Neugierde. Das passt ganz gut, denn je mehr eine Agentur über den Kunden und Zusammenhänge weiß, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit brillanter Ideen und einer erfolgreichen Strategie.
Voller Tatendrang möchte man im Wettbewerb am liebsten alles über das Objekt seiner Begierde erfahren. Aber erfährt der potenzielle Kunde denn alles für die Zusammenarbeit Relevante über die Agentur, weil wir ihm kreative Ideen entwickeln, sie hübsch aufbereiten und professionell präsentieren? Natürlich nicht! Ich frage mich, wer bisher die Leistung meiner Kollegen und meiner Wenigkeit ernsthaft in einem Pitch bewerten konnte.
Und wenn es Auftraggeber doch versuchen wollten – es fragt keiner danach, wie viel Zeit so ein Pitch gefressen hat. Stichwort: Effizienz. Oder wie viele und welche Personen mitgewirkt haben, drüber schauen mussten. Stichwort: Qualität. Zumindest habe ich das noch nicht erlebt. Warum nicht? Weil die Beziehung auf Basis des Kostenlos-Pitches nicht auf Augenhöhe stattfindet. Der Auftraggeber bekommt was er will – unter Wert! Und darauf baut er auf.
Will ich so arbeiten?
Gehen Agenturen solche Szenarien ein, folgt gerne der „Wadenbeißer-Reflex“. Jetzt, da der Fisch an der Angel hängt, „wollen wir bloß nicht an xy scheitern“. An der Stelle trägt die Agentur immer noch die rosarote Brille – leider bleibt sie nach wie vor allein damit. Was folgt, sind unrealistische Zugeständnisse. Eine ganz miese Voraussetzung für das Agentur-Team und die darauffolgende Zusammenarbeit. Spätestens hier ist der Punkt erreicht, an dem auf Team-Ebene ein klares Nein notwendig wird. Und das darf kein „Das können wir jetzt nicht mehr absagen“ gelten lassen. Denn am Ende des Tages geht es hier um eine langfristige Geschäftsbeziehung. Stellt euch bitte die Frage „Will ich so arbeiten?“.
Ein Nein muss nicht schwerfallen
Ich möchte jede Agentur ermutigen, häufiger Nein zu Pitches zu sagen. Nicht nur wegen der hohen Wahrscheinlichkeit, dass kreative und strategische Arbeit nicht wertgeschätzt und die Zusammenarbeit dadurch wahrscheinlich belastet wird, sondern weil das Ergebnis leidet. Es geht auch um das Signal nach innen.
Wenn zeitfressende, kostenlose Pitches nicht regelmäßig neue Kunden bringen – oder noch schlimmer, unbefriedigende Geschäftsbeziehungen –, kostet das die Agentur nicht nur Erfolg, sondern ein ganz wichtiges Gut: die Leidenschaft der Mitarbeiter.
Vertrauen vs. ROI
PR-Berater brauchen für erfolgreiche Kampagnen vor allem kreativen Freiraum, einen Handlungsspielraum, der Vertrauen voraussetzt. Fehlender Kontakt auf Augenhöhe schadet dem Ergebnis, das ohnehin immer noch häufig schwierig zu messen ist, obwohl die Erwartung eine ganz andere ist: Am liebsten stehen die Ergebnisse bereits im Pitch fest, denn inzwischen ist ja alles berechenbar. Aber in der Realität ist es das dann doch nicht so einfach. So scheiden sich etwa die Geister daran, ob der Effekt einer PR-Kampagne mit dem TKP abgeglichen werden kann.
Einig sind sich alle darin, dass Zielvereinbarungen wichtig sind. Klar, unsere Arbeit muss messbar sein, sie muss für den Kunden effektiv sein. Vor lauter KPIs, Zielen, ROIs und anderen Messlatten haben wir aber in der Anbahnungsphase im Neugeschäft eine wichtige Messlatte für uns vergessen: Den Effekt der Vertrauensbasis auf unsere Arbeit. Auf Agenturseite wird es Zeit auch über einen ROI zu sprechen, wenn es um Neugeschäft geht – einen ROI, der Mitarbeiterzufriedenheit und Handlungsspielraum umfasst. Man ist schließlich nur so gut, wie man gelassen wird.
Ob täglicher oder wöchentlicher Kontakt – die Art der Beziehung gibt den Ton an. Als Agentur sind wir Dienstleister. Wir müssen uns die Frage stellen, ob unsere Arbeit am Ende ein reiner Handel ist beziehungsweise sein kann – Bezahlung vs. Ergebnis –, wenn Erfolg immer neu definiert werden muss und von sehr vielen Faktoren, allen voran Vertrauen, abhängig ist.
Es liegt an uns, ob wir billigen, dass es dem Auftraggeber egal ist, wie ein Ergebnis – etwa ein kostenloser Pitch – entstanden ist. Welche Chancen würden wir einem Date geben, das sich einladen lässt, erzählt was es erwartet und von uns verlangt, dass wir uns nun erst mal beweisen müssen?
Wir haben genug Gründe, auf eine partnerschaftliche, vertrauensbasierte Zusammenarbeit mit Auftraggebern zu beharren, Pitches im Zweifel abzulehnen und das Team früh in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Ich bin froh, dass wir bei Oseon diesen Anspruch an unsere Geschäfts- und Teambeziehungen haben. Wie wir das machen, davon berichten wir demnächst im Oseon-Blog.
Über die Autorin: Verena Berghof ist Director bei Oseon. Sie verantwortet Content- und Online-Marketing-Strategien sowie die Beratung und Kampagnenplanung in den Bereichen Consulting, Entrepreneurship und TravelTech. Sie erreichen sie per Twitter unter @veerina oder per Mail unter verena@oseon.com