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Von wegen Augenhöhe, Transparenz, Authentizität und neue Medien

Foto: © AdobeStock / Elle

Liebes Internet, wir schreiben das Jahr 2019 und im vergangenen Jahr wurde auf Kongressen, bei Camps, in Workshops und in Texten oft über Augenhöhe, Transparenz, Authentizität und neue Medien gesprochen. Die Realität ist da leider sehr viel banaler.

In meinem Arbeitsleben habe ich das große Los gezogen, denn ich kann in einem Wirtschaftsbereich als Fachjournalist arbeiten und in anderen Bereichen arbeite ich eher auf der Seite der PR- und Kommunikationsprofis. Heute möchte ich Dir, liebes Internet, von einem Dilemma berichten, das durch die Zweiteiligkeit meines Arbeitslebens deutlich wird.

Bin ich im Feld der PR- und Kommunikationsprofis unterwegs, dann kann ich mehrmals im Jahr an verschiedensten Branchenveranstaltungen teilnehmen. Dort wird dann darüber gesprochen, wie man mit JournalistInnen und Influencern umgehen sollte. Da spricht man dann von Augenhöhe. Man holt auch noch die Themen Transparenz und Authentizität auf die Bühne. Und dann will man natürlich auch noch ganz modern sein und zeigt sich verständnisvoll für das Thema neue Medien.

Doch was heißt das denn übersetzt für die Arbeit von JournalistInnen? Augenhöhe meint: Man kann man mit den wichtigen ProtagonistInnen reden, bekommt Interviews und Statements; Presseanfragen werden tatsächlich beantwortet. Transparenz und Authentizität bedeuten doch irgendwie: Das was die ProtagonistInnen in Interviews gesagt haben, kann man ernst und für bare Münze nehmen. Neue Medien heißt dann auch sowas wie: Wir wissen, wie Menschen Inhalte mit kleineren Onlineformaten umsetzen – Blogs, Instagram-Stories, Twitter-Livestreams, Podcasts und vieles mehr … So weit zur Theorie auf den Bühnen.

Dann mache ich jetzt mal einen Abgleich mit der Realität, die ich seit Jahren beobachte. Fangen wir mit der Augenhöhe an.

Fachmedien sind quasi schon mal grundsätzlich kleine Medien, denn sie bespielen mit ihren Inhalten „nur“ die Branche selbst. Gleichzeitig haben sie meist eine hochrelevante Leserschaft. Denn da lesen EinkäuferInnen, EntwicklungsleiterInnen, ForscherInnen und potenziell neue MitarbeiterInnen von Unternehmen nach, was die Wettbewerber und der Markt so machen. Oft sind die Inhalte deutlich tiefergehend als sie Wirtschaftstitel, TV- bzw. Radiobeiträge oder eine Tageszeitung abbilden können.

Bei Pressekonferenzen und Presseanfragen bekommt man als „Kleiner“ aber oft schnell zu spüren, dass man klein ist und nur so semirelevant. Augenhöhe ist da nicht. Bei Pressekonferenzen bemerke ich grundsätzlich, wie VertreterInnen von kleinen Medien nur nachgelagert mit Interviewslots versorgt oder mit Gruppeninterviews abgespeist werden.

Ein konkretes Beispiel gefällig? Nehmen wir Audiointerviews, die von Radioleuten und PodcasterInnen durchgeführt werden. Da findet eine Pressekonferenz mit gleich zwei CEOs großer Konzerne statt. Es gibt die klassische, offene Fragerunde nach einem Talk auf der Bühne. Danach bekommen die TV-JournalistInnen ihre Slots – klar nach Priorität in Reihenfolge gesetzt. Es ist sicherlich ein tolles Gefühl für die Leute, die in der Reihenfolge hinten stehen … Immer wieder wird von den PR-Verantwortlichen nachdrücklich betont, wie wenig Zeit die beiden CEOs hätten. Nach knapp 60 Minuten TV-Interviews bekommen die Radioleute ganze acht Minuten in einem Gruppeninterview zu dritt.

Was läuft da falsch? Es wird eine Pressekonferenz angesetzt, zu der zwei CEOs mit viel Personal und eine Schar von ca. 100 JournalistInnen anreisen – teilweise auf Kosten der beiden veranstaltenden Unternehmen. Und dann haben die Firmenbosse nur wenig Zeit? Müsste es denn nicht genau andersherum funktionieren? Hallo PressevertreterInnen, wir sind hier, weil wir eure Reichweite wünschen und würden euch gern beste Möglichkeiten für guten Content bieten, denn wir profitieren ja auch davon. Und wir wollen auf Augenhöhe mit euch sprechen. Das wird zumindest auf den Podien der Veranstaltungen in PR-Branche selbst postuliert.

Was ich mich jedes Mal frage, wenn ich diese Situationen erlebe: Wie funktioniert die Zeitplanung für solch eine Veranstaltung seitens der PR-Verantwortlichen? Und warum bekommt der Kollege, der für den rbb (Rundfunk Berlin Brandenburg) ein Radio-Interview aufzeichnen möchte, deutlich weniger Freiraum als ein TV-Team? Haben die Kommunikationsprofis nicht auf dem Schirm, dass die O-Töne des Radiomanns am nächsten Tag im ARD-Hörfunkpool stehen und auch bei Deutschlandfunk landen können – es also neben Relevanz auch potenziell um große Reichweite geht?

Hinzu kommt für mich die Frage, warum auf Pressekonferenzen so häufig nach der offiziellen Bühnenshow ein recht ruppiger Ton herrscht und die KommunikatorInnen oft so sehr genervt wirken. Genau dies bekommt man oft als VertreterIn eines kleinen Mediums zu spüren.

Schaue ich mir die Karrieren einiger JournalistInnen an, die ich bereits länger kenne, dann haben sie – oh Wunder – überwiegend in kleinen Medien begonnen bzw. volontiert. Über die Jahre haben sie sich weiterentwickelt. Inzwischen sind sie bei großen Medien angekommen, haben mehr Verantwortung übernommen. Wie gern erinnern sich solche Leute auch zurück an ihre Anfangstage und erzählen einem, wie unangenehm ihnen damals von XY aus der Unternehmenskommunikation mitgespielt wurde? Es passiert häufiger, als man denkt. Und nach den Pressekonferenzen werden oft die negativen Erfahrungen bei einem Kaffee unter JournalistInnen geteilt. Das Ergebnis erfolgreicher PR-Arbeit ist das eher nicht, oder?

Doch kommen wir zu Transparenz und Authentizität. Natürlich komme ich meist doch zu meinen Interviews. Ganz häufig habe ich dann aber neben den eigentlichen GesprächspartnerInnen noch ein oder gar zwei Presseverantwortliche des Unternehmens dabei. Gern wird von den PR-PRofis auch gleich das Interview mit einem Smartphone noch aufgenommen. Kann ich mit leben. Allerdings sorgt das auch dafür, dass man womöglich kritische Fragen gar nicht erst stellt, wenn die Anstandsdamen und -herren dabei sind. Oder man bekommt auf eine heikle Frage nicht mal eine Antwort. Dabei ist es doch nicht die Aufgabe von KommunikatorInnen, die kritischen Fragen zu unterbinden, sondern ihre UnternehmensvertreterInnen auf kritische Fragen gut vorzubereiten. Oder habe ich da etwas missverstanden?

Im Anschluss bitten die PR-Profis häufig noch um eine Freigabe von Zitaten, wie es dann immer etwas ausweichend heißt. Was ist daran transparent und authentisch? Zumal dieser Freigabeprozess dann gern zwei bis drei Tage (sic!) in Anspruch nimmt – eine gefühlte Ewigkeit für Onlinemedien.

In Summe zeigt sich somit ein klarer Weg auf, wie man zu seinen passenden Antworten und Informationen kommt: Je weniger man mit den KommunikatorInnen spricht, desto mehr erfährt man. Das funktioniert auch auf Pressekonferenzen ganz gut, wenn man die wichtigsten Personen eines Unternehmens schon persönlich kennt: „Hallo Frau XY, schön, dass wir uns mal wieder persönlich sehen. Ich hätte da noch ein paar Fragen, hätten Sie kurz Zeit für mich?“ Und schwupps, schon hat man die PR-Verantwortlichen ausgespielt. Ich und auch viele meiner KollegInnen machen das auch gern, wenn wir vorab von KommunikatorInnen gegängelt wurden. Aus der Sicht der entsprechenden Kommunikationsabteilung dürfte das nur nicht sonderlich zielführend sein.

Womit man heute – 2019 – noch immer Kommunikationsleute und Interviewgäste verunsichern kann? Wenn man als JournalistIn um Inhalte für kurze und kleine Formate bittet. Nahezu jedes Medium hat eigene Accounts in den sozialen Netzwerken. JournalistInnen sind zusätzlich daran interessiert, selbst als moderne MedienmacherInnen zu glänzen. Was liegt da also näher, als nach schnellen Statements für Videoschnipsel zu fragen oder gleich nach einem kurzen Livestream oder einer Instagram-Story? Es ist ein „Spaß“, die Reaktionen in den Gesichtern der Leute zu sehen. Entweder bekommt man eine stammelige Ausrede, warum es gerade nicht passen würde. Oder man wird ein wenig müde belächelt, sehr gern übrigens, wenn man einen Podcast aufzeichnen oder ein Kurzstatement von 15 Sekunden für eine Instagram-Story haben möchte. So viel zum Verständnis für neue Arbeitsmethoden und neue Medien.

Fazit

Was mir natürlich auch klar ist: JournalistInnen sind dagegen keine Heiligen. Laut, bei Pressekonferenzen gern auch mal unhöflich und respektlos im Ton. In größerer Gruppe sind sie schwer zu bändigen. Denn Stress auf Seiten der JournalistInnen entsteht auch, weil man um die eigenen Interviewslots buhlen muss.

Ich hab die steile These: Je realistischer und großzügiger die Zeit für eine Presseveranstaltung eingeplant wird, desto besser kommt man durch eine Veranstaltung – auf beiden Seiten. Das ist nicht immer einfach, aber es ist eben der Job von Kommunikationsprofis, damit umzugehen bzw. diese angenehme Situation zu schaffen.

Liebes Internet, ich habe dir in voller Absicht keine Verweise auf einzelne Unternehmen gegeben. Denn ich möchte niemanden vorführen, sondern ich möchte meinen Text eher als Anstoß und Feedback verstanden wissen – und als Wunsch an das „PR-Universum“. Danke fürs Lesen, Du.

Über den Autor:
jst-autorenbildJens Stoewhase ist Geschäftsführer der Rabbit Publishing GmbH, die das Onlinejournal medienrot.de im Auftrag von Landau Media betreibt. Dabei ist er auch immer wieder als Produzent von Podcasts aktiv. Bis Ende 2011 betreute er selbst u.a. die digitalen Aktivitäten zahlreicher kommerzieller Kinder- und Jugendmagazine und YPS. Stoewhase arbeitete vorher jahrelang für den Onlinebereich der TV-Serie „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, als Freelancer im Musikbereich und entwickelte Konzepte für digitale Angebote im Entertainmentsegment. Der Autor ist Mitglied der SPD.