Warum wir einen Diskurswandel im Internet brauchen

Am 5. November 2019 startete das Journalismus-Start-up Buzzard eine große deutschlandweite Crowdfunding-Kampagne. Das mehrfach ausgezeichnete Team aus Leipzig möchte 250.000 Euro einsammeln – für ein neues Online-Medium gegen die Radikalisierung der Gesellschaft. Redakteurin Maika Schmitt verrät in ihrem Gastbeitrag, wie das Team aus JournalistInnen und PolitikwissenschaftlerInnen einen neuen Blick auf die Nachrichtenwelt möglich machen will.

Foto: © Christiane Gundlach

„Drecksfotze“ darf die Grünen-Politikerin Renate Künast auf Facebook genannt werden. Das hat ein Gericht entschieden. Ist das noch öffentlicher, konstruktiver Diskurs, der da stattfindet? Lange wurde das Internet als Ort der Meinungsfreiheit gefeiert. Langsam aber verkommt es immer mehr zu einem Raum für Beleidigungen, in dem politisch Andersdenkende einfach niedergeschrien werden. Es scheint wichtiger zu sein, den anderen mit einem Etikett zu versehen und damit klar zu machen, dass man selbst auf der moralisch richtigen Seite ist, anstatt sich die mühsame Arbeit zu machen, die Argumentation des Gegenübers nachzuvollziehen. Zwischentöne und Kompromisse verlieren an Bedeutung. Der Diskurs verroht.

Und das nicht nur im Internet. Längst tragen Täter ihre digitalen Aggressionen auch in die reale Welt, wie der Terroranschlag von Halle zeigt. Meinungen und Gedanken, die nicht ins eigene Weltbild passen, spielen für viele Menschen keine Rolle mehr. Häufig werden Medien konsumiert, die ähnliche Standpunkte vertreten, wie man selbst. Das bedeutet fortlaufende Bestätigung der eigenen Meinung.

Genau hier setzen wir mit unserem Journalismus-Start-up Buzzard an. Wir schaffen eine Online-Plattform und App, die Menschen einmal am Tag den Überblick bietet über verschiedene Meinungen im Netz zu den Nachrichten und Debatten des Tages. Kuratiert, verlinkt und journalistisch eingeordnet von unseren Redakteur*innen. Gesammelt aus der ganzen Medienlandschaft. Aus Blogs, internationalen und etablierten Medien. Von links bis rechts, liberal bis ökologisch.

Wir alle haben im Alltag wenig Zeit und viel Stress. Buzzard hilft, sich eine breite Meinung zu bilden, auch wenn wenig Zeit ist. Die Plattform und App motivieren jeden Tag einen Schritt aus der eigenen Filterblase hinauszutreten und neue Perspektiven kennenzulernen. Wir wollen damit dem Extremismus und dem radikalen Diskurs in unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen und zu einer Welt beitragen, in der Menschen mehr Verständnis füreinander haben. Das ist die Vision der Buzzard-Gründer Felix Friedrich und Dario Nassal. Der Prototyp der Plattform bot die letzten zwei Jahre bereits wöchentlich kuratierte Debatten und Perspektivwechsel:

Müssen wir Angst vor Gesichtserkennung haben? Braucht die Bundeswehr in mehr Geld? Und: sollte Deutschland die Massentierhaltung verbieten?

Das sind Fragen, auf die es viele Antworten gibt. Buzzard bündelt die verschiedenen Perspektiven, die im Netz dazu kursieren und verhilft Menschen zu einem vielseitigen Medienkonsum und, neue Debatten anzustoßen. Die Buzzard-Übersicht wird in Zukunft einmal am Tag zu den wichtigsten Themen des Tages erscheinen. Sodass unsere Nutzer*innen einmal am Tag einen kompakten Überblick zum Hören und Lesen bekommen. In der U-Bahn, auf dem Weg nach Hause oder nach dem Abendessen.

Buzzard ist ein community-basiertes Projekt. Die Plattform setzt auf werbefreien Journalismus und Mitgliederfinanzierung. Unabhängig von einem großen Verlagshaus und von Werbefinanzierung zu sein ist den beiden Gründern von Buzzard sehr wichtig. Aktuell läuft eine große Crowdfunding-Kampagne. 45.000 Gründungsmitglieder sollen insgesamt 250.000 Euro beisteuern und das erste Jahr der Online-Plattform und App finanzieren. Das Budget wird zum Großteil verwendet, um eine feste Stammredaktion aufzubauen. Diese wählt tagesaktuelle Nachrichten aus, recherchiert, fasst verschiedene Meinungsartikel aus dem Netz zusammen und ordnet diese journalistisch ein.

© Buzzard

Gründungsmitglieder von Buzzard können das gesamte erste Jahr der neuen Online-Plattform und App alle Tageseditionen und Debatten in vollem Umfang lesen und über Themensetzung, Perspektivenwahl und Auswahlkriterien mitbestimmen und sich damit aktiv an der Plattform beteiligen. Später sollen sie sich auch untereinander über verschiedene Argumente austauschen können – und damit auch direkt mit Personen in Kontakt kommen, die anderer Meinung sind als sie selbst.

Alle Meinungen des politischen Spektrums sind auf Buzzard willkommen, solange sie sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Nutzer*innen können auf Grundlage der Übersicht selbst entscheiden, welche Seite sie überzeugender finden. Dabei gibt es jedoch eine Grenze: Extremisten, die Ausgrenzung propagieren und von Sanktionen für freie Presseorgane fantasieren, haben den Boden der demokratischen Debatte längst verlassen und werden deshalb von Buzzard nicht in die Empfehlungen aufgenommen. Das gilt für Artikel, die zusammengefasst werden, aber auch für die Nutzer*innen. Der Aufruf zum Diskurs gilt all denen, die den demokratischen Diskurs auch führen wollen.

Innerhalb dieser Grenze sollen möglichst alle Meinungen abgebildet werden. Dafür steht Buzzard: sich mit Argumenten beschäftigen, die im ersten Moment unbegreiflich erscheinen. Das kann anstrengend sein und schmerzhaft. Aber Friedrich und Nassal sind der festen Überzeugung, dass es in einer guten Demokratie genau solche Auseinandersetzungen braucht. Viel zu oft fehle dafür aber der Raum. Buzzard will den virtuellen Raum dafür schaffen. Das Ziel sei dabei nicht, seine Meinung zu ändern, sondern zu verstehen, wo andere Meinungen herkommen und so wieder für mehr Diskurs in der Gesellschaft zu sorgen, sagt Dario Nassal.


Foto: © privat

Über die Autorin:
Maika Schmitt, arbeitet als freie Journalistin in Leipzig. Bei Buzzard ist sie seit Anfang 2019 als Redakteurin beschäftigt.