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Raus aus der Deckung!

Foto: © Fotolia/TrudiDesign
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PR-Leute trauen sich inzwischen mehr. Bisher galt für die Unternehmenskommunikation ein fast defensiver Code im direkten Schlagabtausch mit Meinungsbildnern, insbesondere mit Journalisten. Wenn Berichterstattung missfällt, wird das im Hintergrund geklärt. Eine auf lange Sicht stabile Beziehung zu Medien hat Priorität. Viele haben deshalb über die Jahre viel schlucken müssen. Ich kenne keine PR-Profis, denen sich nicht schon oft die Faust in der Tasche geballt hätte. Aber da blieb sie in der Regel auch.

Besonders bohrend ist das Gefühl, dass NGOs und ihre Kampagnenorganisationen einen Freibrief bei Medien hätten, Journalisten also zu unkritisch mit deren Positionen umgingen. Ganz im Gegensatz zu denen der Industrie. In Erinnerung ist mir ein bemerkenswerter Auftritt von Coke-Kommunikationschef Patrick Kammerer auf dem Kommunikationskongress vor zwei Jahren, bei dem er über Skandalisierungspartnerschaften zwischen Medien und NGOs sprach. Seine Empfehlung an die Kollegen: in die Offensive!

Der Konzern Bayer tut das, inbesondere seit er dank der Monsanto-Übernahme viele mediale Konflikte austragen muss. Auf dem Zukunftsforum, das die DPRG neulich wieder einberufen hatte, erntete Bayer-PR-Kopf Christian Maertin viel Beifall, zum einen als er die Hintergründe zu dem berühmtem Renate-Künast-Tweet aus dem Köcher holte, zum anderen für die Verve, Anwürfe des WWF mit einem eigens produzierten YouTube-Video zu kontern, das aber nie auf YouTube erschien. Es sollte nicht aus dem Kontext gerissen werden.

Maertin will erkennbar aus der Deckung. Sein Team experimentiert und findet dafür kreative und humorvolle Ansätze, die Anerkennung erlauben, weil sie dem Gegenüber die Tür zu einem sachlichen Dialog immer offen halten. Ich kann nichts Falsches daran erkennen, NGOs und Journalisten auf offener Bühne zu stellen und selbstbewusst das Gespräch zu suchen.

Erst recht, weil die Lebensmittelindustrie das immer vermieden hat. Zu groß war die Angst einzelner Unternehmen stellvertretend für alle in Geiselhaft genommen zu werden. Wer sich aus der Deckung wagt, verliert. Selbst in die Bütt wollte also keiner, deshalb installierte man vor Jahren stattdessen einen Lobbyverein, der von seinen Trägern moralisch und finanziell schwach aufgestellt auf verlorenem Posten kämpfte, angesichts der Kampagnenstärke, die Organisationen wie Foodwatch ins Feld führen. Und angesichts der unrealistischen Erwartungshaltung der meisten Konzerne im Rücken des Vereins, was mit diesem Set-up zu erreichen wäre. Der Verein hat mittlerweile dicht gemacht.

Als äußerst streitbarer Lebensmittellobbyist tritt vor allem Verbändechef Christoph Minhoff auf den Plan, und er lieferte neulich ein Beispiel, wie schmal der Grat wird, wenn Fürsprecher „offensiv“ werden. Der Journalist Marc Neller hatte in der Welt ein kritisches Stück über die Zuckerlobby veröffentlicht und dort den Verbandsboss Günter Tissen aufs Korn genommen –, weil sich bekanntlich auch im Wirtschaftsteil Geschichten mit Menschen besser erzählen lassen als ohne. Ob das in diesem Fall gelungen war, will ich hier nicht bewerten.

Minhoff jedenfalls warf sich vor Tissen, der sich meiner Wahrnehmung nach interessanterweise selbst nicht öffentlich dazu äußerte. Minhoff schrieb bei LinkedIn eine giftige Replik, die offenbar zum Ziel hatte, Nellers Artikel auf ironische Weise zu kontern und dem Journalisten den Spiegel vorzuhalten (hier die ganze Geschichte bei Meedia). So in etwa jedenfalls stellte es Minhoff in einem anschließenden Interview mit kress-Chef Bülend Ürük dar.

Doch Minhoffs Ironie zündete nicht – was erwartbar war. Man kann zwar gedanklich nachvollziehen, was ihn bewegte. Dennoch wäre seine Faust hier besser in der Tasche geblieben. Sein als scharfsinnig-ironisch gemeinter Diskussionsanreiz blieb als die polemische Attacke auf den Journalisten im Kopf. Ein Austausch war nicht die Folge.

Stattdessen provozierte der Fall in mir den Gedanken, wie es inzwischen um das gegenseitigte Verständnis und das Verhältnis Medien und Kommunikation bestellt ist. Beide Seiten dürfen keinesfalls gestatten, dass es derart leidet, dass der Respekt schleichend schwindet – und die PR sich gar ein Beispiel am diffamierenden Ton nimmt, mit dem populistische Politiker viel Schaden anrichten. Wohin das führt, ist klar: Alle verlieren.


nico-kunkel_150x150pxÜber den Autor: Nico Kunkel ist seit mehr als zehn Jahren professioneller Beobachter von Themen und Trends in Kommunikation, PR- und Medienindustrie. Er arbeitet als freier Journalist und Impulsgeber für Events und Netzwerke in der Branche. 2012 begründete Kunkel die PR-Nachwuchsinitiative #30u30 (www.30u30.de). Nico Kunkel lebt in Berlin. Er twittert als @prreporter.