Am Sonntag sauste ein Tweet von Sachar Klein förmlich durch die Decke, in dem er verkündete, als Leser die tägliche gedruckte Zeitung wieder für sich entdeckt zu haben. Wer Sachar kennt, liest darin keine Abkehr von Social Media, vielleicht eine Kurskorrektur des persönlichen Medienkonsums, der aber bei vielen in der Branche derzeit deutlich spürbar ist. 3.000 Reaktionen provozierte Sachars Tweet bis dato, er hat damit ganz offensichtlich einen Nerv unserer Filterblase getroffen.
Denn: Vor Jahren haben wir in der Branche (vor allem wohl Agenturen und Beratungen, die sich Geschäft versprachen, aber auch Medienmanager und Journalisten) so beharrlich den digitalen Wandel des Medienkonsums beschworen, als müssten wir uns alle zwingend für eine der beiden Seiten entscheiden: Bist du schon digital? Oder noch analog? Rückblickend war da viel Ideologie dabei. Wer an Print glaubte, galt als rückständig, und auch unter den zahlreichen Kommentatoren von Sachars Tweet finden sich entsprechende Antworten. Heute noch.
Die große Aufmerksamkeit, die Sachars Tweet bekommen hat, hat mich überrascht, sie passt aber zu Eindrücken, die sich über Monate aufgestaut haben. Da sind prominente Online-Only-Medien, denen offenbar die Luft ausgeht, die Personal entlassen müssen oder gar ganze Redaktionen schließen. Die Strategie verlockender Überschriften, die Beiträge versprechen, denen es am Ende an der Substanz fehlt, geht langfristig nicht auf. Sie hinterlässt enttäuschte Leser, auch bei klassischen Medien, denen ihre Leser diese Tiefe (noch) eher zutrauen, zumindest nach Ansicht des jüngsten Edelman Trust Barometer.
Da war neulich die unerwartet deutliche Selbstkritik der Mediaagenturen, zu einseitig auf die Digitalisierung gesetzt und klassische Medien vernachlässigt zu haben. Im Interview mit Horizont appellierte Media-Manager Boris Schramm an den „Sportsgeist“ der Verlage. Oder: Da ist der ungebrochene Run auf abgeschlossene und kontemplative Medienformate, die sich mit Anfang und Ende und ohne Ablenkungen konsumieren lassen. Auch Newsletter gehören dazu, und der Podcastboom unterstreicht den Trend. Und: Da ist eine zunehmende Enttäuschung über die Qualität der Empfehlungen zu spüren, die uns Algorithmen oder das eigene soziale Umfeld via Social Media vorsetzen: Sie reicht schlicht nicht aus und lässt so wieder Raum für Redaktionen, deren Impulse uns aus der Filterblase führen könnten.
Auch wenn gedruckte Medien für die Vermittlung von Geschichten Vorteile gegenüber Online-Medien haben mögen, ist es nicht entscheidend, ob wir Inhalte digital oder auf Papier konsumieren. Der springende Punkt ist für mich, dass die Lust an der Digitalisierung (in der Branche) zu einem verfrühten und zu lauten Abgesang auf klassische Medien geführt hat – auch bei diesen selbst. Eine Korrektur steht an.
Über den Autor: Nico Kunkel ist seit mehr als zehn Jahren professioneller Beobachter von Themen und Trends in Kommunikation, PR- und Medienindustrie. Er arbeitet als freier Journalist und Impulsgeber für Events und Netzwerke in der Branche. 2012 begründete Kunkel die PR-Nachwuchsinitiative #30u30. Er ist Herausgeber des PR Career Center, das PR-Studierende unterstützt und vernetzt. Nico Kunkel lebt in Berlin. Er twittert als @prreporter.