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Ephemeral Media – Vom Wert des Verschwindens

TitelbildKamera-01Seit einigen Monaten ist in Marketingblogs und -magazinen ein Thema angesagt: Ephemeral Media. Das wohl bekannteste Beispiel für den Erfolg dieser besonderen Form der Kommunikation ist Snapchat. Inhalte, die kurz auftauchen und dann für immer verschwinden, liegen schwer im Trend. Dass sie technisch gesehen nicht wirklich weg sind, spielt da eher eine untergeordnete Rolle. Doch woher kommt diese Faszination? Und welche Potenziale bzw. Herausforderungen sind hier verborgen?

Ephemeral Media stellt vieles auf den Kopf, was Unternehmen in detektivischer Kleinstarbeit über ihre Kunden gelernt haben: Geht es denen denn nicht um Nachhaltigkeit? Um Transparenz und Überprüfbarkeit von Produktversprechen? Ist es nicht angesagt, Retroprodukte wie Plattenspieler zu kaufen und sich ganz nostalgisch eine Vinyl-Sammlung anzulegen? Sollten wir in dieser schnelllebigen Zeit eben nicht auf vergänglichen, sondern auf Evergreen Content setzen? Wieso sind dann ausgerechnet die flüchtigen Inhalte so beliebt?

Neugier wecken
Um das zu verstehen, müssen wir kurz in den Bereich der Psychologie eintauchen und uns dann die Nutzer von Ephemeral Media ansehen. Je seltener etwas ist, desto mehr steigt es im Wert. Diese Wertsteigerung durch Verknappung nennt die Wissenschaft Scarcity-Prinzip. Je weniger Diamanten bei zunehmender Nachfrage auf dem Markt sind, umso wertvoller werden sie. Ein entgegengesetztes Beispiel ist Natriumchlorid, besser bekannt als Kochsalz: Früher als weißes Gold sehr wertvoll, ist es aufgrund der Massenherstellung heutzutage äußerst preiswert.

Da die Stories bei Snapchat nur scheibchenweise beim Nutzer eintrudeln, wird die Neugier geweckt und die Aufmerksamkeitsspanne hochgehalten. Und weil die Inhalte anschließend verschwinden, sind sie automatisch wertvoller als Content, der sich jederzeit abrufen lässt. Das Scarcity-Prinzip funktioniert also auch online.

Daher lautet die Frage, in der auch das Erfolgsgeheimnis steckt: Was könnte wertvoller sein als Inhalte, die nach einmaliger Betrachtung für immer verschwinden? Snapchat, Instagram Stories oder Wickr machen sich diesen Umstand zunutze. Dabei ist der Kniff im Marketing ein alter Hut: Denken wir an Botschaften wie „Nur noch 15 Stück verfügbar“ oder „Nur noch ein Platz frei im Webinar“. Ephemeral Media haben das Prinzip der Knappheit von Inhalten in den Dark-Social-Bereich geholt und perfektioniert. Wer will schon starken Content verpassen, den er nie wieder abrufen kann?

Ein weiterer Grund für die Nutzung von kurzweiligen Medien ist die als weniger öffentlich empfundene Kommunikation. Schnappschüsse und Videos werden nicht gleich der gesamten Community präsentiert, sondern ausgewählten Freunden. Diese exklusive Kommunikation macht es auch so schwierig, Zielgruppen via Ephemeral Media zu erreichen.

Wo die Potenziale und Herausforderungen liegen
Es geht um Echtzeitkommunikation. Doch Folgendes sollte klar sein: Ephemeral Media werden vornehmlich von jüngeren Zielgruppen genutzt, heißt konkret: Millennials. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, doch als grobe Orientierung lässt sich sagen, dass vornehmlich Teens und Twens bis Mitte Zwanzig Services und Apps dieser Art verwenden.

Laut einer Studie von Shutterfly schießen die Millennials mehr Fotos als jede andere Generation. Umso verblüffender ist ein weiteres Ergebnis der Studie: Denn die wenigsten Hobby-Fotografen schauen sich ihre Bilder zu einem späteren Zeitpunkt nochmal an. Es geht um das Fotografieren an sich, nicht darum, beim Anblick in Erinnerungen zu schwelgen.

Zurück zu den Potenzialen: Die große Stärke der Ephemeral Media liegt darin, dass sie Ausrutscher verzeihen. Das Selfie mit Augenringen geht so gar nicht? Macht nix – ist ja sowieso in wenigen Sekunden wieder im digitalen Nirwana verschwunden.

Unternehmen können hier anknüpfen: Nämlich mit kreativen Kampagnen, welche die Zielgruppe an den Touchpoints abholt. Und es muss nicht immer um Produkte gehen. Auch der Bereich Recruiting wird spannend aufbereitet. REWE setzt darauf, genau wie die Bundeswehr und US-amerikanische Universitäten.

Die Mühe lohnt sich
Wie im klassischen Marketing gilt auch bei Ephemeral Media die Regel: Gute Inhalte müssen her. Ja, es kann frustrierend sein, wenn aufwendig produzierte Videos kurz nach Veröffentlichung wieder verschwinden. Doch ist es mit langweiligen Marketing-Clips auf YouTube oder Facebook anders? Auch die landen schnell in der Versenkung.

Wohlgemerkt: die langweiligen Clips. Wer interessante Live-Feeds, witzige Inhalte und topaktuelle Stories zu bieten hat, gewinnt auch das Rennen um die junge Zielgruppe. Es wäre daher ein falscher Denkansatz, sich vom „Verschwinden des Contents“ abhalten zu lassen.

Dabei müssen Kampagnen nicht unnötig viel Geld kosten: In-App-Adds oder Sponsored Lenses mit dem Schriftzug der Marke führen zu einer organischen Implementierung und werden somit eher von der Zielgruppe akzeptiert als bild- und tongewaltige Werbefilme. Diese Marketing-Maßnahmen sind zwar selbst nicht ephemeral, finden aber genau in diesem Umfeld statt.

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Weg mit dem perfekten Moment
Snapchat und Co. sind nicht dazu gedacht, stylische Hochglanzmomente abzubilden. Sie sind – so überstrapaziert das Wort auch ist – für ihre Authentizität bekannt. Für Agenturen und Unternehmen ist dies jedoch kein Freischein für schludrigen Content, im Gegenteil: Da die Aufmerksamkeit der User durch das Scarcity-Prinzip gebunden wird, müssen die Inhalte auf den Punkt gebracht sein und Mehrwert bieten – gern auch mit viel Humor.

Behalten wir im Hinterkopf, dass die Ephemeral Media in den Bereich von Dark Social fallen. Die meisten Apps bieten Messaging mit Fun-Faktor. Werbung akzeptieren die User also nur dann, wenn deren Inhalt wirklich nützlich und/oder lustig ist.

Wer einmal von einer schwachen Aktion bei Snapchat enttäuscht wurde, der wird den negativen Eindruck auch dann noch im Gedächtnis behalten, wenn die Inhalte längst verschwunden sind. Mehr als je zuvor gilt in dieser speziellen Medienform: Der erste Eindruck zählt.

Ephemeral Media kann absurd anmuten
Wer denkt, Snapchat sei turbulent, sollte sich bei Gelegenheit das Sterben der App Yo genauer anschauen. Durchaus geht es hier noch schneller zu als im bekannten Video-Messenger. User können nur ein einziges Wort verschicken, die ganz Kreativen werden wohl „Yo“ versenden. In diesem Zusammenhang auf ein Marketingkonzept zu setzen, ist jedoch absurd. Zwar sprach Christopher Mims vom Wall Street Journal Deutschlands auf Spiegel Online gar vom „nächsten Twitter“. Heute gilt Yo allerdings als ziemlich out, der Hype hat sich nicht durchgesetzt. Ein gutes Beispiel dafür, bei Ephemeral Media nicht auf jeden Zug aufspringen zu müssen.

Faszinierend hingegen sind die sich überschlagenden Entwicklungen. Snapchat und Instagram Stories sind erst der Anfang. Marketer sollten sich daher darauf vorbereiten, die junge Zielgruppe mit frischen Konzepten abzuholen. Dann gelingt auch der Sprung in die Medienlandschaft auf der Überholspur.

Wer sich tiefer in das Thema einarbeiten möchte und mehr zu Snapchat erfahren will, bekommt detaillierte Infos im Snapchat E-Book von OSK.

carsten-christian-01_150x150pxÜber den Autor: Carsten Christian ist Online- und Social-Media-Redakteur bei der Kölner Agentur Oliver Schrott Kommunikation, wo er für den OSK-Blog zuständig ist. OSK ist Deutschlands zweitgrößte inhabergeführten PR-Agentur und betreut renommierte Automobil-, Technologie- und Industrie-Unternehmen.