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Die Christen sind los – Eine Medienanalyse zum 36. Kirchentag

Generalsekretärin Ellen Ueberschär, Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au, Bischof Markus Dröge (EKBO), Landesbischöfin Ilse Junkermann (EKM) (Foto: © DEKT/Christian Lietzmann)
Generalsekretärin Ellen Ueberschär, Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au, Bischof Markus Dröge (EKBO), Landesbischöfin Ilse Junkermann (EKM) (Foto: © DEKT/Christian Lietzmann)
Generalsekretärin Ellen Ueberschär, Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au, Bischof Markus Dröge (EKBO), Landesbischöfin Ilse Junkermann (EKM) (Foto: © DEKT/Christian Lietzmann)

Es war ohne Zweifel ein Mega-Event, das Berlin und Wittenberg im Mai auf Trab hielt und für die ein oder andere Schlagzeile sorgte. Die Rede ist natürlich vom Deutschen Evangelischen Kirchentag, einer evangelischen Laienbewegung, die sich in diesem Jahr bereits zum 36. Mal zusammenfand. Gläubige aus ganz Deutschland strömten in die Hauptstadt, um Gemeinschaft zu erleben, Diskussionen zu führen, dem Gebet beizuwohnen oder um sich einfach nur treiben zu lassen. Grund zu feiern gab es wahrlich genug, denn der Kirchentag fiel zusammen mit dem 500. Reformationsjubiläum. Gefeiert wird Martin Luthers Thesenanschlag, der 1517 Deutschland, Europa und die Welt maßgeblich veränderte.

Höhepunkt war gewiss der Besuch von Barack Obama. Unter Jubel wurde der frühere US-Präsident von 70.000 begeisterten Menschen vor dem Brandenburger Tor in Empfang genommen, wo er sich mit Kanzlerin Angela Merkel vor dem Brandenburger Tor zum Thema „Engagiert Demokratie gestalten“ austauschte. Den Abschluss bildete ein Festgottesdienst in der Lutherstadt an den Elbwiesen, zu dem die Kirchentagsbesucher mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Bahn anreisten. Ganz wild Entschlossene hatten in der Nacht zuvor auf der Festwiese unter freiem Himmel übernachtet.

„Du siehst mich“ (1 Mos 16,13 LUT) lautete der Leitsatz zum diesjährigen Kirchentag, ein Motto mit Spielraum für vielfältige Interpretationsmöglichkeiten. Der Kontext ist allerdings konkret biblisch und lässt sich etwa so zusammenfassen: Die Sklavin Hagar ist schwanger und auf der Flucht. Geflüchtet ist sie, weil ihr Unrecht geschehen ist. Gott nimmt sich ihrer an und rettet sie. Er sieht sie. Damit wählte sich der Kirchentag eine Losung, die auf die aktuelle gesellschaftliche Situation hinweist und deutlich zu verstehen gibt: Es ist notwendig, Anteil zu nehmen am Leid der Mitmenschen, die vor Krieg und Gewalt geflüchtet sind. Doch noch mehr kann die Bibelstelle aussagen: Im Zeitalter der Digitalisierung, in dem Selbstdarstellung in sozialen Medien allzu gewöhnlich geworden ist, es ums „Gesehen werden“ geht, der Einzelne in der Masse aber gar nicht erst zur Geltung kommt, hier will der Kirchentag dazu ermuntern, sich dem Gegenüber wieder wahrhaftig zuzuwenden.

Auf dem Kirchentag sollen Menschen, weil keiner dem anderen gleicht, diskutieren, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten reden mit dem Ziel, sich anzunähern. Um miteinander in Kontakt zu kommen, bot der Kirchentag ein reiches Programm für Jung und Alt. Da gab es Gottesdienste, Picknicks, Vorträge und Podiumsdiskussionen, Veranstaltungen und Konzerte, Möglichkeiten zum interkulturellen Austausch, Bibelarbeit und Programme für Kinder und Jugendliche. Besonders innovativ: die Gerüstkirche vor dem Anhalter Bahnhof – „Kirche to go“ gewissermaßen. In der eigens und künstlerisch von Jugendlichen errichteten Pop-up-Kirche fanden 200 Menschen Platz. Junge Menschen wollte der Kirchentag erreichen, indem er sich modern und vielseitig präsentierte und durchscheinen ließ: An Gott zu glauben, ist nicht „out“. Und so erinnerte der Kirchentag zuweilen an ein Popkonzert, wie die Berliner Morgenpost feststellt: „Max Giesinger bringt das Teenie-Gefühl auf den Kirchentag“. Dass der Kirchentag auch sonst mit der Zeit geht, machten auch die WLAN-Hotspots deutlich, die den kreativen Namen „godspot“ trugen.

Nicht nur für die Besucher, sondern auch für die Medien war der Besuch von Barack Obama das unangefochtene Highlight des diesjährigen Kirchentages. Die von Landau Media durchgeführte Medienresonanzanalyse zum Kirchentag 2017 hat in dieser Hinsicht eines mehr als deutlich gemacht: Über niemanden wurde vergleichbar viel berichtet; kein Ereignis schlug sich mehr in den Medien nieder als Obamas Auftritt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, hatte hier seine Beziehungen spielen lassen. Ihm war es tatsächlich gelungen, den bekennenden Christen Obama für den Kirchentag zu gewinnen. Auf diese Weise gelang es, die mediale Aufmerksamkeit konzentriert auf die evangelische Großveranstaltung zu richten.

Das Pfingstwunder 2017: Ex-US-Präsident Barack Obama besucht Berlin. Er wird zum Zentrum des Kirchentages und überstrahlt alle weiteren gesetzten Themen.
Das Pfingstwunder 2017: Ex-US-Präsident Barack Obama besucht Berlin. Er wird zum Zentrum des Kirchentages und überstrahlt alle weiteren gesetzten Themen.

Die enorme Resonanz, die Obamas Präsenz nach sich zog, überstrahlte aber auch wesentliche Inhalte des Kirchentages. Engagiert politisch ist der Kirchentag immer gewesen; in diesem Jahr zogen Glauben und Gebet – zumindest medial gesehen – wahrhaftig den Kürzeren. Auch Veranstaltungsinhalte mussten in der Presse häufig mal zurückstecken. Diese Feststellung geht sicherlich einher mit der Teilnahme der AfD am Kirchentag: Kontroverse und Medienecho waren damit programmiert.

Mit großem Selbstbewusstsein hat sich Markus Dröge in die politische Diskussion vorgewagt: Sein Gespräch mit Anette Schultner (AfD) verschafft ihr eine hohe Medienaufmerksamkeit und dem Berliner Bischof einigen Respekt.
Mit großem Selbstbewusstsein hat sich Markus Dröge in die politische Diskussion vorgewagt: Sein Gespräch mit Anette Schultner (AfD) verschafft ihr eine hohe Medienaufmerksamkeit und dem Berliner Bischof einigen Respekt.

Darf die AfD an einer christlichen Veranstaltung teilnehmen? Die Medienresonanzanalyse kann diese Frage zwar nicht beantworten, doch fällt auf, das Anette Schultner (Bundessprecherin der Christen in der AFD) nach den großen Kirchen-Namen Heinrich Bedford-Strom, Markus Dröge und Christina Aus der Au, eine der am häufigsten genannten Personen ist. Wahlkampfhilfe für Angela Merkel? Wahlkampfhilfe womöglich sogar für die AfD? Immer wieder wurde darüber diskutiert, ob denn der Kirchentag so politisch sein darf. Angela Merkel machte deutlich: Kirche gehört in den öffentlichen Raum. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn hingegen fordert die Kirche auf, sich wieder auf „ihre Kernthemen“ zu besinnen, nämlich auf Seelsorge, Glaubensvermittlung und das Karitative.

Der Evangelische Kirchentag 2017 wirbt für Haltung, Vielfalt und ein lebendiges Miteinander. Christen haben Botschaften und sie sprechen darüber. Wenn es politisch unbequem wird, ist Einmischung gefragt!
Der Evangelische Kirchentag 2017 wirbt für Haltung, Vielfalt und ein lebendiges Miteinander. Christen haben Botschaften und sie sprechen darüber. Wenn es politisch unbequem wird, ist Einmischung gefragt!

Wie die Analyse zeigt, sendet die Kirche hier ein überdeutliches Signal. „Kirche mischt sich ein“, lautet die Top-Botschaft des Kirchentags. Kirche will im öffentlichen Geschehen mitmischen und sich nicht verstecken. Kirche will Anteil nehmen am Schicksal Not leidender Menschen und sich für andere einsetzen. Kirche will, so macht es die Analyse sichtbar, jung, lebendig und vielfältig sein. Und sie will im Dialog sein – sowohl interkulturell als auch zwischen den Konfessionen. So sprach Thomas de Maizière mit dem Groß-Imam der Kairoer Al-Azhar Universität über Terrorbedrohung und Islam. Oder es diskutierten Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx in aller Freundschaft über den Stellenwert der Ökumene.

Der Kirchentag war eine logistische Meisterleistung, die einer langen Planung im Vorfeld bedurfte: Die Unterbringung der ca. 140.000 Teilnehmer, die Logistik, die Organisation und allen voran: die Sicherheit. Nach „Prominenten Gästen auf dem Kirchentag“ ist die „Sicherheit“ eines der Top-Themen der Medienresonanzanalyse. Polizei und sogar Scharfschützen sollten den Kirchentag vor möglichen Anschlägen schützen und die Orte sicher machen. Angesicht des jüngsten Terroranschlags in Manchester fiel ein Schatten auf das Fest der friedfertigen Christen. Zwar herrschte ein mulmiges Gefühl, nahm aber nicht Überhand. Mit einem stimmungsvollen Abschlussgottesdienst ging der Kirchentag in Wittenberg zu Ende. Frank-Walter Steinmeier sprach, der südafrikanische Bischof Thabo Makgoba predigte. Für 2017 gilt: Ein Kirchentag wühlte auf, und doch – Gott sei Dank – lief alles glatt.

Einen Videorückblick auf den 36. Evangelischen Kirchentag gibt’s übrigens hier >>


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Beatrice-Schmid-Lossberg_150x150pxÜber die Autorin:
Beatrice Schmid-Lossberg ist seit 2017 Medienanalystin bei Landau Media. Zuvor hat sie Germanistik an der Universität Mannheim studiert.